Mr. Darcy bleibt zum Fruehstueck
Das bin ich
Es ist mein Hochzeitstag. Der Himmel öffnet sich, und Regen und Hagel prasseln auf die Steinterrasse nieder, auf der die Zeremonie stattfinden soll. Jede andere Braut wäre inzwischen wahrscheinlich hysterisch. Aber ich habe keine Zeit, mich über das Wetter aufzuregen, weil anderswo nach mir verlangt wird. Oder wenigstens denke ich das. Ich gehe heimlich einen endlosen Flur in einem englischen Herrenhaus entlang, während der Regen und der Hagel im wilden Rhythmus an die Fenster hämmern. Mein Herz klopft nervös, weil ich erschöpft bin. Lampenfieber vor der Hochzeit? Gott sei Dank habe ich anstatt eines dieser Korsettteile ein schlichtes, schräg geschnittenes Kleid ausgewählt. Außerdem würde ich in einem Korsett wie eine Vierzigjährige aussehen, als bemühte ich mich zu sehr oder als wäre ich eine verzweifelte Teilnehmerin einer Realityshow.
Ich schaue über meine Schulter, ob mich irgendwer bemerkt hat, aber der Flur ist leer. Ich schaffe es, unentdeckt die prächtige Treppe hinunter- und an den Hochzeitsgästen in dem riesigen, vollgestopften Ballsaal vorbeizulaufen, und öffne die Türen zur Auffahrt. Ich hasse es, nass zu werden, aber heute nicht – heute ist der Regen befreiend, also gehe ich hinaus, meine nackten Füße machen ein gedämpftes, knirschendes Geräusch auf dem Kies, während ich immer schneller gehe. Wenn ich daran denke, dass vor nur sechs Monaten alles noch normal war. Ich wusste, wer ich war. Ich hatte einen Job, ein Zuhause, Freunde … ein Leben, das mich glücklich machte. Wer wusste schon, dass es so nervenaufreibend ist, vierzig zu werden? So war es nicht geplant, es sollte einfach nur ein weiterer Geburtstag sein, einfach nur eine neue Zahl. Aber es kam anders.
Über mir schwebt bedrohlich eine riesige Gewitterwolke. Ich kann durch den Regen nichts sehen. Kann nicht weit genug sehen, um einen Blick auf das zu erhaschen, weswegen ich gekommen bin. Auf denjenigen, dessentwegen ich gekommen bin. Ich nehme es als Zeichen. Ich halte inne, um noch einmal das stattliche Herrenhaus hinter mir zu betrachten. Es ist ein wundervolles Anwesen, weit draußen auf dem englischen Land. Ich sollte zurückgehen. Noch ist Zeit. Ein bedrohlicher Donner erschüttert die Erde. Das Gewitter lässt nicht nach. Gutes oder schlechtes Omen? Der Wind frischt auf und hebt den Saum meines nassen Kleides an, entblößt meine nackten Beine. Ich muss mich entscheiden. Niemand weiß, dass ich hier bin. Ich kann mein Kleid trocknen, meine Haare neu machen. Zurückzugehen ist eigentlich nicht schwer. Denn welche vernünftige Frau versucht schon, einer wahr gewordenen Jane-Austen-Fantasie zu entfliehen?
1. TEIL
Neununddreißig – noch!
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Guter Hoffnung
Eitelkeit, wenn sie auf einen schwachen Kopf einwirkt, erzeugt Unheil jeglicher Art.
Emma
Sechs Monate früher
E s ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass eine Junggesellin von neununddreißig im Besitz eines guten Aussehens nichts dringender braucht als einen Mann. Und ein Baby. Es sei denn, es handelt sich um mich.« Meine persönliche Version dieser berühmten Zeile aus Stolz und Vorurteil war eine Art Mantra für mich – einen erklärten Jane-Austen-Fan, auf den diese Wahrheit nicht zutraf. Nicht dass es einen Unterschied machte. Ich wurde von den Schwangerschaften anderer Frauen und den Dramen frischgebackener Mütter mitgerissen, als wollte ich selbst Mutter werden.
Das moderne Leben, wie wir es kennen, teilt sich in zwei Parteien: die mit und die ohne. Die mit haben Kinder, die ohne nicht. Als eine ohne kam mir die Rolle zu, die mit weitestgehend zu unterstützen und Verständnis entgegenzubringen; schließlich hatte ich mehr freie Zeit und Einkommen als sie. Jedenfalls war es zu Anfang so. »Alle etwas näher zusammen!« Gavin, ein Asiate mit schmalem Körper und großer Persönlichkeit, brüllte uns an. »Uns« heißt die Angestellten von Haute – dem angesagten Modemagazin –, die sich in der stylishen Personalküche versammelt hatten und sich unterhielten und darüber ihre Arbeit vergaßen. Der Anlass? Babypartys. Plural deswegen, weil fünf Frauen in der Belegschaft kurz vorm Schlüpfen standen. Um Kosten zu sparen, hatte die Chefredakteurin Marianne – eine der fünf, im achten Monat und seit dem College meine beste Freundin – beschlossen, eine Babyfeier für alle zu organisieren. Wenigstens gab es Cupcakes.
»Näher!«, kreischte Gavin. Er ist unser Fashiondirector und sehr lustig. »Steht doch nicht einfach da!
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