Wehe wenn der Wind weht
seit dreißig Jahren nicht darin gewesen, aber an diesem Nachmittag, als die Sonne hinter den Bergen zu sinken begann und das tiefe Blau des Himmels dunkler wurde, öffnete sie die Tür des Eckzimmers und ging hinein.
Es war eine Kinderstube.
Sie und Amos hatten sie zu Beginn ihrer Schwangerschaft gemeinsam eingerichtet. Irgendwie hatte sie gewußt, daß ihr Kind ein Mädchen werden würde, deshalb hatte sie das Zimmer ganz in Rosa gehalten.
Edna saß lange Zeit in der Kinderstube und ging in Gedanken ihr Leben durch. Als sie sich schließlich erhob, hatte sie eine Entscheidung getroffen.
Die Kinderstube war ein Kinderzimmer.
Jetzt, zumindest im Augenblick, war wieder einmal ein Kind im Haus.
Christie Lyons, beschloß sie, würde in der Kinderstube wohnen.
Und so, wie damals, als Diana dort gewohnt hatte, würde die Kinderstube auch so bleiben, wie sie sie möbliert hatte.
Ihre Augen, die durchs Alter nicht schlechter geworden waren, sahen, was sie sehen wollten.
Für sie war die Kinderstube ebenso hell und hübsch, wie sie immer gewesen war.
Christie würde sie ebenso lieben wie Diana. Dessen war sie sich ganz sicher.
Der Staub wirbelte um Esperanza Rodriguez' Sandalen, als sie an diesem Nachmittag nach Hause ging, und hinterließ rostige Flecken am Saum ihres langen schwarzen Rocks. Aber das bemerkte sie nicht. Statt dessen schaute sie zu den Bergen und bewunderte die Farbbänder, die sich über sie breiteten, während sie von der Talsohle aufstiegen. Die in ihrem frühen Sommerlaub hellgrünen Espen funkelten in der Nachmittagssonne, säumten die Füße der Hügel und drängten sich hoch bis zu den Schluchten, welche die Berghänge zernarbten, einer Guerilla-Armee gleich, die das dunkle Grün der Fichten durchdrang, welche die Rockies Jahrhunderte früher erobert hatten. Nur wenige Meter von der Straße entfernt gurgelte der Cleft Creek in seinem Bett, dessen Frühlingshochwasser erst unlängst gesunken war. Seine Wasser waren noch immer eiskalt. Bald würde sie mit Juan zum Fischen gehen und sie beide, sie und ihr Sohn, würden allein nahe der Höhle sein, in der die Ninos lebten. Sie würden einen Tag mit ihnen verbringen, fernab von den forschenden Augen der Welt, fern von den wissenden Blicken der Gringos, die sie immer beobachteten, wenn sie in die Stadt gingen und dann miteinander tuschelten. Esperanza wußte, was sie sagten, und es gab Zeiten, in denen sie überlegte, ob sie recht hatten und sie irrte.
Als Juan geboren wurde, hatte Theresa Whitefawn, die Hebamme von Shacktown, ihr geraten, Juan zu den anderen Kindern in der Höhle zu schicken, um dort mit ihnen zu leben. Aber Esperanza hatte sich geweigert. In ihren Augen war Juan ganz normal. Seine braunen Augen hatten sie angelacht, und seine winzigen Arme schwangen in der Luft. Wenn er nicht gleich beim ersten Mal nach ihrem Finger griff, als sie ihn in ihre Faust nahm, so bedeutete das gar nichts. Erst als er bis zu seinem vierten Lebensjahr nicht gesprochen hatte, erkannte sie schließlich die Wahrheit.
Aber dennoch blieben Zweifel. Er war ihr Sohn und er hatte gelebt, als er geboren wurde, und sie konnte ihn nicht fortschicken. Ihn wegzuschicken, wäre eine Todsünde gewesen.
Und außerdem liebte sie Juan.
Er war jetzt fast dreißig, und wenn er auch nicht sehr gut sprach und nicht ganz klar denken konnte, so war das für Esperanza doch in Ordnung. Sie konnte sich um ihn kümmern und er genoß es, ihr zu helfen, so gut er konnte. Und er war zärtlich, egal, was andere Leute sagten. Es war eben nur so, daß er nie begriffen hatte, daß er ein erwachsener Mann war.
Natürlich behandelte ihn Esperanza nie als solchen. Auf ihre Art hatte sie erkannt, daß er in seinem Kopf immer noch sieben oder acht Jahre alt war, und sie sah keinen Anlaß, ihn zu etwas zu machen, was er nicht war.
Sie kaufte ihm die Comics, die er liebte und saß stundenlang bei ihm, während er die Seiten umschlug und zu lesen versuchte. Esperanza selbst konnte kaum lesen und das Englisch fiel ihr nicht leicht. Sie bevorzugte das Spanisch ihrer Kindheit.
Sie lebten friedlich miteinander, und Esperanza und ihr Sohn verdienten sich ein wenig Geld, indem sie den Ambers halfen. Sie waren die einzigen, die von dem einst zahlreichen Personal der Ranch übriggeblieben waren. Esperanza arbeitete an zwei oder drei Tagen der Woche im Haus und Juan ritt mit Miß Diana über das Land, half ihr, den Zaun instand zu halten, der die paar Stück Vieh daran hinderte, fortzulaufen. Sie
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