Wehe wenn der Wind weht
niemanden hier draußen haben«, sagte sie, und der Nörgelton in ihrer Stimme war nicht mehr als ein schwaches Echo ihres einstigen gebieterischen Tones. »Ich habe noch einige Dinge zu tun, und ich möchte allein sein.« Sie schwieg und dann: »Ich bin niemals allein gewesen, wissen Sie. Ich muß mich daran gewöhnen.«
Widerwillig ließen sie Edna Amber zurück.
Als sie wieder im Polizeiwagen saßen, sah Dan Bill und Matt an. »Irgendeine Idee?«
»Jeff sagte, dort sei ein Wäldchen mit Espen und Baumwollsträuchern bei einer Quelle«, sagte Matt. »Wißt ihr, wo das ist?«
Bill nickte. »Auf dem Weg zum Steinbruch.«
»Ist dort eine Straße?« sagte Dan.
»Fahr Richtung Bergwerk, aber biege eine Viertelmeile vorher nach links ab. Damit kommen wir ziemlich nah heran, aber ein Stück Weg müssen wir dennoch laufen«, erwiderte Bill.
Diana stürzte durch die Nacht, als sei das Geräusch des weinenden Babys das Lied einer Sirene, die sie lockte. Den blutverschmierten Knüppel, mit dem sie Jeff Crowley getötet hatte, wiegte sie in ihren Armen.
Der Wind fegte von den Bergen herunter, erfüllte die Luft mit stöhnendem Klagen und langsam öffneten sich die Türen von Dianas Gedächtnis weit.
Es war eine Nacht wie diese vor dreißig Jahren, als der Wind wehte, doch alles, was sie hören konnte, war das andauernde Weinen eines Babys.
Sie lag in einem Bett, aber es war nicht ihr Bett. Es war ein fremdes Bett, und das stand in einem Zimmer, das nicht ihres war.
Instinktiv wußte sie, daß das Baby in ihrem Bett, in ihrem Zimmer war.
Sie schlich durch das Haus, suchte nach dem Ursprung des Geräuschs. Und dann fand sie es in der Kinderstube, in ihrer Kinderstube. Dort in der Wiege lag ein winziges Baby, das seine Fäuste hilflos in die Luft streckte. Seine Augen waren geschlossen, obwohl Tränen über seine Wangen rannen.
Diana starrte es an, haßte es.
Es weinte, und niemand bestrafte es.
Das war falsch. Weinende Babys mußten bestraft werden.
Und da war noch etwas.
Als sie das Baby anschaute, begann sie sich zu erinnern.
Es war ihr Baby.
Sie war wieder ein unflätiges, böses kleines Mädchen gewesen, und jetzt war ein Baby da.
Sie kroch näher zur Wiege und berührte das Baby, und sein Weinen wurde lauter.
Was, wenn es ihre Mutter aufweckte? Sie würde hereinkommen und das Baby finden und wissen, was Diana getan hatte.
Und dann würde sie wieder, wie so oft in ihrem Leben, bestraft werden.
Sie mußte das Baby verstecken.
Sie nahm es hoch und wickelte es in eine Decke, erstickte sein Schreien und ging mit ihm aus dem Haus.
Sie trug es durch die Nacht, überlegte, was sie mit ihm tun sollte, wo sie es verstecken sollte.
Und in dieser Nacht hörte sie zum ersten Mal das Geräusch, das sie geleitet hatte, und seitdem war es bei ihr geblieben.
Ein weinendes Baby. Nicht das Baby in ihren Armen, nicht ihr eigenes Baby, sondern ein anderes. Und plötzlich wußte sie es.
»Ich werde dich zu ihnen bringen«, flüsterte sie. »Ich werde dich zu den anderen Babys bringen.« Sie begann dem Geräusch zu folgen, und das führte sie hoch zum Bergwerk, dann daran vorbei hoch zum Hügel, bis sie schließlich vor dem Eingang der Höhle stand.
Und dort nahm sie einen Stein, als das Baby in ihren Armen weiter weinte, und brachte es zum Schweigen.
Das Baby hatte geweint, und sie hatte es bestraft.
Jetzt, dreißig Jahre später, als sich ihr Gedächtnis öffnete, begriff Diana, was sie getan hatte.
Es war nicht ihre Mutter gewesen, die ihr Baby getötet hatte.
Sie selbst hatte es getan.
Und während sie durch den Wind und die Dunkelheit taumelte, begann sie zu weinen.
27
edna amber beobachtete, wie der weiße Chrysler in der Nacht verschwand.
Bald, dessen war sie sicher, würde die Ranch von Menschen wimmeln, und sie würden Diana finden, und jeder würde ihre Geheimnisse kennen. Sie konnte nicht zulassen, daß das geschah.
Obwohl Diana für sie verloren war, war sie doch noch ihre Mutter.
Edna zog einen Mantel an und ging hinaus in die Nacht. Sie schob das schwere Garagentor auf und stieg in den alten Cadillac. Während sie ihn vorsichtig rückwärts aus der Garage fuhr, überlegte sie, ob sie es noch rechtzeitig dorthin schaffen würde, und ob sie zu dem imstande sein würde, was getan werden mußte.
Matt Crowley sollte das bereits getan haben. Er sagte, er würde es tun, aber er hatte es nicht.
Das war der Ärger mit den Kindern. Sie sagten, sie würden Dinge tun, aber sie taten sie
Weitere Kostenlose Bücher