Wehe wenn der Wind weht
PROLOG
der wind schoss wie ein Lebewesen aus den Rockies herab, fuhr zwischen Nadelbäumen und Espen hindurch, brauste durch die Bergschluchten, bevor er sich in das Tal ergoß, wo er, gewaltige Staubmengen aufwirbelnd, ostwärts fegte und die Dörfer und Weiler verschlang, die wie Präriehundkolonien über das Gebiet verstreut waren.
Die Menschen hatten nichts von dem Wind gewußt, als sie ihre Städte bauten, aber sie lernten ihn sehr bald kennen, und sie beschlossen, wie immer in solchen Fällen, damit zu leben, ihn so weit wie möglich zu ignorieren, versteckten sich vor ihm, wenn er zu heftig wurde, redeten abfällig über ihn und verglichen ihn gern mit den Tornados, die sie erlebt hatten, bevor sie westwärts zogen.
Der Wind war eine der vielen Gegebenheiten, mit denen man leben, mit denen man kämpfen mußte.
Im übrigen waren es die Minen wert.
Selbst das Steinkohlenbergwerk in Amberton war den Wind wert, obwohl es weder so ergiebig noch so berühmt wie die Gold-und Silberminen war, die außer in dieser Gegend überall zu sein schienen.
Und deshalb begaben sich die Bergleute an einem strahlenden Frühlingsmorgen im Jahre 1910 in die Stollen des Bergwerks, ignorierten den Wind, wollten nur einen weiteren Tag durchstehen, Kohle fördern, um die Eisenbahn zu füttern und dann nach Hause gehen, um den schwarzen Staub in ihren Kehlen mit zahllosen Whiskeys wegzuspülen, der dann mit Bier hinuntergeschwemmt wurde.
In der Grube spürte man weder den Wind noch den Frühlingsmorgen. Da war nur das flackernde gelbe Licht der Bergarbeiterhelme, die heiße, muffige, mit Kohlenstaub erfüllte Luft und das ständige Gefühl der Angst. Irgend etwas könnte schiefgehen.
In den Bergwerken ging immer irgend etwas schief.
An diesem Morgen jedoch vermischte sich die Angst mit einem gewissen Optimismus, da an diesem Morgen Stollen Vier verlängert wurde, der eine der größten Lagerstätten zu werden versprach, die bisher im Bergwerk von Amberton entdeckt worden war.
Das Dynamit war in der Nacht zuvor vor Ort gebracht worden, und den Morgen verbrachten die Bergleute damit, die Zünder zu überprüfen, Zünddrähte zu verlegen und die Sprengapparate anzuschließen. Dann waren sie schließlich fertig.
Sie sammelten sich außerhalb des Bergwerks, und der Wind umpeitschte sie, als sie sich auf den entscheidenden Augenblick vorbereiteten.
Die Hebel der Sprengapparate wurden nach unten gestoßen, und aus den Tiefen des Bergwerks kam ein dumpfes Grollen.
Die Bergarbeiter lauschten und grinsten einander an.
Es war geschafft.
Mehrere hundert Fuß unter ihnen lag da nun ein Haufen Gestein, der aufgeladen und an die Oberfläche gebracht werden mußte. Sie nahmen ihre Werkzeuge und gingen in das Bergwerk zurück.
Zuerst bemerkte niemand das Wasser, das durch die zertrümmerte Kohlewand am Ende von Stollen Vier sickerte.
Als der erste Bergarbeiter die Feuchtigkeit durch seine Stiefel spürte, war er mehr verärgert als besorgt.
Aber dann begann das Wasser zu steigen, und bald begriffen die Bergarbeiter, was passiert war.
Irgendwo in der Tiefe der Erde befand sich eine Wassertasche, und die Sprengung hatte sie geöffnet.
Sie begannen, nach der Quelle des Lecks zu suchen. Einer der Männer ging nach oben und kam mit dem Steiger und dem Bergwerksbesitzer zurück. Holz wurde nach unten geschafft, und die Wände von Nummer Vier wurden rasch abgestrebt. Doch noch während sie arbeiteten, stieg das Wasser, und bald wateten die Bergleute im Wasser.
»Da hinten«, schrie einer. »Es kommt von da hinten!«
Die Männer arbeiteten sich zum anderen Ende des Schachtes vor. Dann sahen sie es.
Was als Tröpfeln begonnen hatte, war nun zu einem reißenden Strom angewachsen, der durch eine Öffnung in der Wand quoll.
Noch während sie sich das ansahen, brachen große Kohlebrocken heraus, und eiskaltes, kristallklares Wasser schoß herein, das durch die pulverisierte Kohle, über die es strömte, rasch tintenschwarz gefärbt wurde.
Plötzlich stürzte die Wand von Nummer Vier ein, und Wasser wälzte sich über die Männer, warf einige von ihnen auf den Boden des Stollens, preßte andere an die Wände.
Wer Glück hatte, wurde von der berstenden Stollenwand sofort zerquetscht.
Wer weniger Glück hatte, ertrank in den ersten Wogen der Flut.
Für den Rest der Bergleute war es ein grauenvoller Tod.
Die Flut spielte mit ihnen, packte sie und riß sie mit sich, drückte sie dann unter die Stollendecke, an der sich Luftblasen gebildet
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