Weihnachten mit Maigret
Untersuchungsrichter zufriedengeben.«
»Nun gut! Sie ist es. Sie ist zwar etwas anders gekleidet, aber ich habe sie wiedererkannt.«
»Hat sie Sie auch wiedererkannt?«
»Sie hat mich sofort gefragt, von wem ich komme.«
»Was haben Sie geantwortet?« »Ich weiß es nicht mehr. Ich war sehr verlegen. Dass ich mich in der Tür geirrt hätte...«
»Hat sie Ihnen etwas angeboten?«
»Was meinen Sie damit? Sie hat mich nicht einmal aufgefordert, mich zu setzen. Das wäre noch unangenehmer gewesen.«
Während der Taxifahrer nichts verlangt hatte, bestand dieser hier, dessen Geschäft wahrscheinlich sehr gut ging, auf einer Entschädigung für die verlorene Zeit.
»Jetzt warten wir noch auf den Dritten, mein lieber Lucas.«
Madame Maigret wurde unterdessen langsam nervös. Sie gab ihrem Mann von der Tür aus unauffällige Zeichen, ihr in die Küche zu folgen. Dort flüsterte sie:
»Bist du sicher, dass der Vater immer noch gegenüber ist?«
»Warum?«
»Ich weiß nicht. Ich verstehe nicht so ganz, was du im Sinn hast. Wenn ich an die Kleine denke, hab ich etwas Angst...«
Die Nacht war schon hereingebrochen. Einige Familien waren wieder nach Hause gekommen. Nur wenige Fenster im Haus gegenüber blieben dunkel, und man konnte immer noch den Schatten von Mademoiselle Doncœur am Fenster erkennen.
Maigret, der noch immer ohne Schlips und Kragen war, zog sich fertig an, während er auf den zweiten Taxifahrer wartete. Er rief Lucas zu:
»Bediene dich. Hast du keinen Hunger?«
»Ich bin vollgestopft mit Sandwichs, Chef. Ich habe nur einen Wunsch, wenn wir Weggehen: ein Glas Bier, frisch vom Fass.«
Der zweite Taxifahrer tauchte um zwanzig nach sechs auf. Um sechs Uhr fünfunddreißig kam er mit lüsternem Blick aus dem anderen Haus zurück.
»Im Morgenrock sieht sie noch besser aus als im Kostüm«, sagte er schmierig. »Sie hat mich genötigt hineinzugehen und hat mich gefragt, wer mich zu ihr schicke. Da ich nicht wusste, was ich ihr antworten sollte, hab ich ihr gesagt, ich käme vom Direktor der >Folies Bergère<. Sie wurde wütend. Trotzdem, sie ist eine Klassefrau. Ich weiß nicht, ob Sie ihre Beine gesehen haben...«
Es war schwierig, ihn loszuwerden, und es gelang erst, nachdem er ein Glas von dem Schlehenschnaps bekommen hatte, zu dem er gierig hinschielte.
»Was wollen Sie tun, Chef?«
Selten hatte Lucas erlebt, dass Maigret so vorsichtig handelte und seinen entscheidenden Schlag so sorgfältig vorbereitete, als rüste er sich für einen harten Kampf. Dabei handelte es sich nur um eine Frau, um eine Kleinbürgerin von unauffälligem Äußeren.
»Glauben Sie, dass sie sich noch verteidigen wird?«
»Bis zum Letzten... Und dazu eiskalt.«
»Worauf warten Sie?«
»Auf den Anruf von Torrence.«
Der Anruf kam pünktlich. Das Ganze war wie eine genau einstudierte Partitur.
»Der Koffer ist hier. Er muss fast leer sein. Wie Sie vorausgesehen haben, wollen sie ihn mir nicht ohne Vollmacht geben. Was den Angestellten angeht, der heute Morgen Dienst hatte: er wohnt in einem Vorort in der Nähe von La Varenne-Saint-Hilaire.«
Man hätte meinen können, dass die Sache diesmal einen Haken hatte, dass es auf jeden Fall eine Verzögerung geben würde. Aber Torrence fuhr fort: »Nur lohnt es sich nicht, dorthin zu fahren. Nach Feierabend spielt er nämlich Trompete in einem Tanzlokal in der Rue de Lappe.«
»Geh und hol ihn her.«
»Soll ich ihn zu Ihnen nach Hause bringen?«
Vielleicht hatte schließlich auch Maigret nichts gegen ein frisches Glas Bier.
»Nein, komm mit ihm ins Haus gegenüber in die dritte Etage, zu Madame Martin. Ich werde dort sein.«
Diesmal nahm er seinen dicken Mantel vom Haken, stopfte sich eine Pfeife und sagte zu Lucas:
»Komm mit.«
Madame Maigret lief ihm nach, um ihn zu fragen, wann er zum Essen komme. Er zögerte mit der Antwort und lächelte dann.
»Wie gewöhnlich«, sagte er nicht gerade beruhigend. »Pass gut auf die Kleine auf!«
5
Abends um zehn Uhr hatten sie noch kein greifbares Ergebnis erhalten. In dem Haus schlief bestimmt noch niemand. Nur Colette war schließlich eingeschlafen, bewacht von ihrem Vater, der immer noch in der Dunkelheit am Kopfende ihres Bettes saß.
Um halb acht war Torrence zusammen mit dem Angestellten der Gepäckaufbewahrung angekommen, und der Mann, der nach Dienstschluss als Musiker auftrat, hatte, genau wie die anderen, ohne zu zögern erklärt:
»Das ist sie. Ich sehe sie noch, wie sie den Aufbewahrungsschein nicht in ihre
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