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Weihnachtsengel gibt es doch

Weihnachtsengel gibt es doch

Titel: Weihnachtsengel gibt es doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Wiggs
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ihres Lebens gefreut hatte, das Leben eines anderen Menschen ein Ende fand. Siefühlte sich mit dem Vorfall auf entsetzliche Art verbunden. In der Kirche hatte sie Tränen der Erleichterung geweint, als ihr bewusst geworden war, dass sie ein Zuhause hatte, in das sie zurückkehren konnte, eine Familie, die sie tröstete. Sie war überrascht, dass seitdem erst so wenige Minuten vergangen waren. Es fühlte sich so viel länger her an. Automatisch zählte sie die Köpfe ihrer Familienmitglieder durch. Sie waren alle da – ihr Dad und ihre Stiefmutter, die einander mit ernsten Mienen an der Hand hielten. Ihre Schwestern, ihr Bruder und seine Familie – alle waren unverletzt und in Sicherheit.
    Sie zog ihre Chorrobe enger um sich und wanderte durch die Menge. Kinder weinten. Einige Menschen beteten. Andere sahen sich verzweifelt nach etwas zu tun um. Zwei Männer stritten miteinander, ob man die Leute wieder in die Kirche lassen könne. Es war alles zurückgelassen worden: Mäntel und Taschen, Autoschlüssel, die Straßenkleidung derjenigen, die am Krippenspiel teilgenommen hatten. Pastor Hogarth lud die Menschen in die kleine Kapelle ein, einen Anbau der Kirche, in dem die Sprinkleranlage nicht losgegangen war. Er wollte ein spontanes Gebet sprechen für die unbekannten Opfer des Unfalls. Die Stimmen klangen in Maureens Ohren alle hohl und weit entfernt. Niemand sprach sie an. Es war, als wäre sie unsichtbar. War ihre Chorrobe in Wahrheit ein Tarnmantel, der sie unsichtbar machte? Der silbrige Stoff war vor Jahren von Mrs Bickham ausgewählt worden. Sie behauptete, der metallische Look würde den Roben etwas Festliches verleihen. Maureen fand hingegen, dass es eher nach Las-Vegas-Showgirl aussah, aber vielleicht war das nur ihre Meinung. Sie löste sich von der Menschenmenge und entfernte sich von dem Rauch und dem Lärm.
    Blutrote Lichtblitze schossen von dem Licht auf dem Dach des Rettungswagens in die Luft. Sie wurden von den grellen Taschenlampen der Suchmannschaft durchschnittenund von den blauen Strahlen der Streifenwagen. Ein gespenstisches Schauspiel verschiedener Farben auf der weißen Schneedecke. Hier und da konnte sie Einzelteile der Krippe erkennen – ein paar Strohballen, etwas zersplittertes Holz, unidentifizierbare Teile einer Figur und zerschmetterte Scheinwerfer.
    Seltsamerweise leuchtete eine Lichterkette noch. Sie schien von dem Unfall total unberührt zu sein. Die Kette lag auf dem aufgewühlten Schnee und umriss ganz klar den Weg des außer Kontrolle geratenen Wagens.
    Der arme Fahrer. Hatte er Angst gehabt? War er in Panik geraten, oder war alles so schnell passiert, dass er keine Zeit gehabt hatte, irgendetwas zu fühlen?
    Sie hoffte, dass Letzteres der Fall war. Hoffte, dass er nicht hatte leiden müssen. Sie hielt einen Moment inne und sprach ein kleines Gebet. Zu ihrer Überraschung waren ihre Wangen feucht vor Tränen.
    Sie fand das Jesusbaby kopfüber im Schnee. Sie hob es an einem seiner Gipsarme hoch. Es war das gleiche Gipsbaby wie seit Jahren, eingefroren in einer sanftmütigen Pose mit ausgestreckten Armen, nach oben gedrehten Handflächen und einer Krone aus goldenen Blättern auf dem Haupt. Auf dem Rücken der Figur stand HECHO EN MEXICO – eigentlich also ein mexikanischer Jesus.
    Es fühlte sich ein wenig respektlos an, das Gipsbaby im Stich zu lassen, aber es half niemandem, wenn sie es mit sich herumschleppte. Also setzte sie es aufrecht in eine Schneewehe.
    Inzwischen war Maureen so kalt, dass sie zitterte. Der Schnee und die Kälte drangen durch ihre dünne silberne Chorrobe.
    Beinahe wäre sie über einen der drei Weisen aus dem Morgenland gestolpert. Zumindest glaubte sie, dass es eine der Figuren war; vielleicht war es aber auch ein Schäfer oderder arme Joseph. Sie beugte sich vor, um es besser sehen zu können. Mit einem entsetzten Schrei sprang sie einen Schritt zurück. Ihr Herz wäre ihr beinahe aus der Brust gesprungen.
    Sie schimpfte sich eine Närrin und trat wieder näher heran, dieses Mal etwas vorsichtiger. Sie beugte sich vor und nahm die Brille ab.
    Ein lautes Keuchen entrang sich ihrer Kehle. Ihre Augen hatten sie eben nicht getäuscht. Das hier war keiner der Weisen. Es war überhaupt kein Gipsheiliger, sondern ein echter Mann. Ein verwirrter, zusammengebrochener Mann, der halb im Schnee verborgen lag und die Augen sanft geschlossen hielt. Eine dünne dunkle Linie zog sich einmal quer über seine Stirn. Er sah jung aus; er hatte längeres, helles Haar, und

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