Weihnachtsengel gibt es doch
Versprechen, das ich halten kann.“
„Der Wetterbericht sagt …“
„Vergessen Sie den Wetterbericht. Schauen Sie nach oben, Maureen. Schauen Sie in den Himmel.“
Maureen war gerade im Begriff, zu ihrem Auto zu marschieren; sie konnte es kaum erwarten, ihm zu entkommen. Doch mit einem Mal spürte sie den Hauch von Magie in der Luft. Nein, nicht Magie. Schnee. Entgegen allen übereinstimmenden Wetterberichten kam der erste Schnee des Jahres in dem Moment, in dem Eddie Haven gesagt hatte, dass er kommen würde. Er fing mit winzigen, spärlichen Kristallen an, dieaber sehr schnell dicker wurden. Bald schon war die Nacht erfüllt mit Flocken, die so groß waren wie Blütenblätter.
„Ich bin froh, dass der Schnee so lange gewartet hat, bis wir hier fertig waren“, sagte Eddie.
„Kein ‚Ich hab es Ihnen doch gesagt‘?“, fragte sie.
„Nein, Sie waren auch so schon genug genervt von mir.“
Sie schaute ihn grimmig an. „Ich bin nicht genervt.“
„Ja, klar. Reichen Sie mir mal die Tüte mit den Kabelbindern?“ Er war immer noch damit beschäftigt, die Beleuchtung der Krippe festzumachen. Für jemanden, der Weihnachten nicht leiden konnte, hatte er ziemlich hart daran gearbeitet, dass alles perfekt aussah. Sie fragte sich, ob das für ihn so eine Art Buße war.
Sie hatte mit einem Mal keine Eile mehr, nach Hause zu kommen, und ging ihm noch ein wenig zur Hand. Franklin und Eloise, ihre Katzen, konnten einander Gesellschaft leisten. Sie fragte sich, ob Eddie Haustiere hatte. Oder einen Mitbewohner in seiner Wohnung in New York. Sie fragte sich auch, ob er am Abend zuvor wirklich zu einem Rendezvous abgezischt war oder ob das nur ein Gespinst ihrer überaktiven Fantasie war. Eine innere Stimme warnte sie, dass sie viel zu neugierig war, was diesen Mann anging, aber sie konnte einfach nicht anders, als sich Spekulationen über ihn hinzugeben.
Die Minuten vergingen, und der Schneesturm nahm neue Fahrt auf. Dicke Flocken rieselten auf sie herunter. Es waren die klassischen Schneeböen, die in der Nähe von Seen oft vorkamen – als hätte man die aufgestauten Niederschläge auf einen Schlag losgelassen. Bis auf ihre beiden Autos war der Parkplatz der Kirche leer, und bald schon bedeckte eine dichte weiße Decke den Asphalt. Wie eine Skulptur mit weichen Linien und Rundungen lag die Landschaft im Licht der Parkplatzlaternen da.
Sie gingen gemeinsam zu ihren Autos. Ihre Schritte wurdenvom Schnee gedämpft. Maureen wurde langsamer und blieb dann stehen. „Ich liebe den ersten Schnee des Jahres“, sagte sie. „Alles ist so still und sauber.“ Sie nahm ihre Brille ab und legte den Kopf in den Nacken, um die gewichtlosen Flocken auf ihrem Gesicht zu spüren. Schnee erinnerte sie immer an Spaß und Heiterkeit, an Sicherheit und Lachen. Als sie und ihre Geschwister noch klein waren, war ihr Vater immer gut darin gewesen, den Schuldirektor zu bequatschen, den Schülern schneefrei zu geben, sobald der erste Schnee des Jahres einsetzte. Dann war die ganze Familie auf den Oak Hill Cemetery gegangen, wo sie Engel in die Schneedecke zauberten, sich eine Schneeballschlacht lieferten oder Schlitten fuhren, wenn die Schneedecke dick genug war. Niemand sagte je, dass es unpassend wäre, den ersten Schnee auf einem Friedhof zu feiern. Das war Stan Davenports Art, seinen fünf Kindern ihre verstorbene Mutter näherzubringen. Und niemand traute sich, ihm zu widersprechen.
Da Maureen erst fünf gewesen war, als sie ihre Mutter verlor, glaubten alle, sie könne sich nicht mehr erinnern. Doch das stimmte nicht. Manchmal, wie zum Beispiel wenn der Schnee in dicker, stiller Raserei vom Himmel fiel, wurde sie von einem Moment völliger Klarheit übermannt. Dann konnte sie sich an alles erinnern – die Wärme der Hände ihrer Mutter, ihren Geruch nach blumiger Seife, den Klang ihres Lachens, die Art, wie sie sich wie eine Stoffpuppe mitten auf dem Bett zusammenfallen ließ, das Maureen und Renée sich teilten, um mit ihnen Horton hört ein Hu und Die drei kleinen Schweinchen zu lesen. Sie ließ sie immer um noch eine Geschichte betteln, bevor sie sie unter die Decken steckte und ihnen einen sanften Gutenachtkuss auf die Stirn gab.
Maureen schüttelte die Erinnerungen ab und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart – in der Eddie sie eindringlich musterte. Und auch wenn es durchaus möglich war, dass sie sich irrte, hatte sie dennoch das Gefühl, dass er siemit ganz neuem Interesse anschaute. Fast hätte sie gesagt, in
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