Weihnachtsengel gibt es doch
wollte sich noch nicht von dieser goldenen Präsenz lösen. Vielleicht träumten andere Menschen andauernd von Engeln, aber für Eddie war es etwas sehr Seltenes und Kostbares. Der Traum hatte angefangen wie die Eröffnungssequenz eines Films. Er konnte sogar genau sagen, wo er angefangen hatte – in der Nacht seines Unfalls. In dem Moment, in dem sich alles verändert hatte. Seine Gedanken reisten zurück zu diesem Abend, und er beobachtete sich aus der Ferne, wie man einen Fremden beobachten würde. Sein Leben war außer Kontrolle geraten, so wie der Van auf dem Blitzeis. Es hatte immer mehr Fahrt aufgenommen, bis ein Hindernis ihn aufgehalten hatte. Im Fall des Autos war das Hindernis eine beeindruckende Krippenszene. Da hatte er das erste Mal den Engel gesehen – sogar mehr als einen, wenn er ehrlich war. Aber es war schon verrückt genug, eine Vision zu haben, also hatte er niemandem davon erzählt.
Eddie blieb in dem Traum, bis der sich schließlich gemeinsam mit dem letzten bisschen Müdigkeit unter dem erneuten Klingeln des Weckers auflöste. Er blinzelte, setzte sich auf und schaute mit bösem Blick auf die Uhr. Erst da fiel ihm auf, dass das Geräusch nicht von seinem Wecker kam. Er nahm sein Handy und drückte auf den Knopf, um den Ton auszustellen.
Dann schaute er auf das Display, rieb sich die Augen und schaute noch einmal. Er klappte das Telefon auf.
„Hey, Barb“, sagte er. Er nannte seine Mutter Barb, weil es in der Kommune, in der er aufgewachsen war, keine Mütter und Väter gegeben hatte, keinerlei unterschiedliche Autoritäten. Damals hatte sie sich Moonbeam, Mondstrahl, genannt, aber sogar als Kind hatte er diesen Namen nicht über die Lippen gebracht. Es hatte sich falsch und gezwungen angefühlt, vor allem für einen Jungen, der seine Mutter eigentlich gerne Mom genannt hätte.
„Da bist du ja, mein Schöner.“
„Du bist früh auf.“
„Das ist mein neuer Zeitplan. Ich habe mit Bikram-Yoga angefangen, die Stunde beginnt um halb sechs Uhr morgens.“
„Oh. Okay.“ Er stellte sie sich vor, wie sie in der gelben Küche ihres Hauses auf Long Island stand und die neueste Yoga-Mode trug.
„Habe ich dich geweckt?“
Er schüttelte die letzte Erinnerung an den Engel ab. „Nein, ich bin schon wach. Ich muss gleich in den Sender.“
„Für deine Morgenshow.“
„Ja. Ich vertrete die Moderatorin.“
„Wir hören dich übers Internet, weißt du.“
„Nein, das wusste ich nicht. Wie schön.“
„Du bist sehr gut. Wir sind stolz auf dich, mein Sohn.“
„Danke.“ Eddies Beziehung zu seinen Eltern war eher funktional. Nicht zu tief. Als trockener Alkoholiker wussteer, dass er Wiedergutmachung leisten musste und Frieden schließen mit einer Vergangenheit, die er nicht ändern konnte. Er war dieses Thema einfach nur noch nicht angegangen, obwohl er sich oft versprach, es zu tun. Es war eine schmerzhafte Angelegenheit, also schob er es immer wieder hinaus. Es war viel einfacher, höfliche Distanz zu wahren. Dennoch wusste er, dass er die Bürde eines nicht eingestandenen Grolls für seine rastlose Kindheit mit sich herumschleppte. Er versuchte, die Vergangenheit philosophisch zu betrachten. Wie jeder andere waren auch seine Eltern das Produkt ihrer Erziehung. Sie kamen beide aus Showbusiness-Familien und waren ins Rampenlicht geschubst worden, bevor sie alt genug gewesen waren zu wissen, ob ihnen dieses Leben überhaupt zusagte. Ihre Hochzeit im Alter von gerade mal achtzehn und neunzehn Jahren war mehr als PR-Gag denn als der Beginn einer lebenslangen Beziehung gedacht gewesen. Trotzdem waren sie nun, fünfunddreißig Jahre später, immer noch zusammen. Als frisch Verheiratete hatten sie mit der kurzlebigen, aber sehr beliebten Varieté-Show angefangen, und danach hatten sie mehr oder weniger ihr Bestes versucht, um Eddie großzuziehen. Mehr, wenn es darum ging, Verantwortung für ihn zu übernehmen, weniger, als sie ihre elterlichen Pflichten abgetreten hatten, um mit alternden Hippies und jungen Idealisten, ernsthaften Naturschützern und aus der Gesellschaft Ausgestoßenen in einer Kommune im Wald zu le ben.
„Wie geht es dir, Barb?“, fragte er. „Und was macht Larry?“
„Uns beiden geht es gut“, erwiderte sie. „Sehr gut sogar. Dein Dad arbeitet drei Tage die Woche als Synchronsprecher in der Stadt. Im Moment spricht er ein paar Parfümwerbungen ein.“
Eddies Vater hatte ein ganzes Arsenal an Stimmen. Von rauem Cowboytimbre bis zum weltgewandten Liebhaber. Die
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