Weihnachtsengel gibt es doch
in Wahrheit … warum? Warum, im Himmel, sollte Mister „Ich-kann-Weihnachten-nicht-ausstehen“ sich selber jahrein, jahraus für diese wochenlange Arbeit verpflichten?
Sie entdeckte ihn auf der anderen Seite der Bühne. Er warf ihr einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte, doch seine Geste mit erhobenem Daumen nahm sie als Zeichen, dass alles in Ordnung war.
In Ord nung?
Sie sah, dass Jabez sich in Position stellte. „ Das willst du tragen?“, fragte sie.
Er zuckte die Schultern, offensichtlich unbesorgt wegen seiner Jeans und dem Kapuzenshirt. „Ich bin ein existenzialistischer Engel“, sagte er nur. „Kein Sorge, alles wird gut.“
Es blieb keine Zeit mehr, darüber zu streiten. Die ersten Töne erklangen, dann setzte die Ouvertüre ein. Die Melodie erhob sich zu den Dachsparren und vermischte sich mit dem leichten Geruch nach Weihrauch. Überwältigt von der Schönheit der Musik, beugte Maureen sich vor und sah nicht nur Ray am Keyboard, sondern seinen Bandkollegen Noah am Schlagzeug und Bo Crutcher am Bass. Außerdem gab es zu ihrer Überraschung noch Eddie Havens Vater an der Gitarre und seine Mutter mit dem Tambourin. Beide sangen den Backgroundchor, als die erste Nummer ertönte. Die kleinenSchäfer und Engel hatten tatsächlich improvisiert und liefen alle im Pyjama auf die Bühne. Das hätte lächerlich aussehen müssen, doch stattdessen wirkte es ganz bezaubernd. Und das war nur der Anfang. Nichts war so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Dann kam der Engel des Herrn, und der Zauber begann.
Jabez’ Stimme verwandelte alles und zog die Zuschauer in ihren Bann. Die Heilige Familie trat in ihrer normalen Straßenkleidung auf, wobei Cecil Byrne seinem Josef ein kleines Augenzwinkern verpasst hatte, indem er ein T-Shirt trug mit der Aufschrift: „Iss bei Joe’s“. Maureen war so sehr damit beschäftigt, hinter der Bühne alles zu koordinieren, dass sie nicht mitbekam, wie Eddie nur mit einer Akustikgitarre die Bühne betrat. Eddie setzte sich auf einen Barhocker in der Mitte der Bühne, auf der eine einzelne Kerze brannte, und bot sein Lied wie eine Segnung dar. Die Melodie allein war schon wunderschön, vor allem mit dem leisen Backgroundgesang von Eddies Eltern. Maureen spürte, wie die Gefühle der drei sich vermischten und der Vorstellung eine einzigartige Intimität und Weite gaben, einen Song kreierten, der jeden auf seine Weise ansprach.
Irgendwo zwischen dem ersten „Es begab sich aber zu der Zeit“ und dem letzten „Halleluja“ erledigte die Magie ihre beste Arbeit. Maureen spürte Tränen in den Augen. Sie war genauso hingerissen wie die gesamte versammelte Gemeinde, die mit glühenden Gesichtern und erhobenen Stimmen in das Schlusslied „Joy to the World“ einstimmte. Die Kirche wurde von einer besonderen Ehrfurcht erfüllt, nach der sich Maureen die ganze Zeit über schon gesehnt hatte. Es war ein wundervolles Spiel, und der Applaus am Ende war stürmisch und begeistert. Sie hätte niemals daran zweifeln dürfen.
Während der stehenden Ovationen erblickte sie Jabez, der von einem Ohr zum anderen grinste. Sie berührte ihn vorsichtig am Arm.
„Es ist ein Wunder, dass wir es geschafft haben.“
Das Grinsen wurde zu einem weichen, süßen Lächeln. „Nein, so würde ich es nicht sagen.“
„Stimmt. Es ist verdammt viel Arbeit in dieses Wunder geflos sen.“
Er nickte. „Viele Dinge gingen verloren oder würden nicht getan, wenn die Menschen herumsäßen und auf ein Wunder warteten.“
Sie betrachtete ihn einen Moment, diesen einzigartigen Jungen, der einerseits so offen war und den sie andererseits überhaupt nicht kannte. „Ist sie heute Abend hier?“, fragte sie. „Ich meine deine Familie?“
Er ließ seinen Blick über die Menge gleiten und neigte den Kopf ein wenig verlegen. „Ja, sie sind alle da.“
Sie wollte fragen, wen er meinte, aber da wurden sie schon von den sie beglückwünschenden Menschen auseinandergerissen. Maureen konnte sich vor Lob kaum retten. Die Leute brachten ihr Blumen und Karten, selbst gemachte Süßigkeiten und bunt verpackte Geschenke. „Das war so schön“, sagte jemand. „Es hat mein Herz zum Singen gebracht“, bestätigte jemand anders.
„Meins auch“, sagte sie und betrachtete die aufbrechenden Menschen mit Besorgnis. Die Kirche lehrte sich schnell, da die Leute alle schnell nach Hause wollten, um den Rest des Abends im Kreis ihrer Familie zu verbringen. Maureen wollte sich das beschwingte Gefühl in ihrem Herzen nicht
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