Weihnachtsengel gibt es doch
letzte Kostümprobe war ein wahrer Albtraum gewesen. Sie wollte nicht einmal an die Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter denken, die heute Morgen auf sie gewartet hatte. Zwei der vier Musiker aus der Gruppe waren krank. In ihrer Panik hatte sie Ray Tolley angerufen.Er hatte versucht, sie zu beruhigen, aber allzu glücklich hatte er dabei nicht geklungen. Und als Sahnehäubchen wurde das Debakel auch noch für einen nationalen Fernsehbeitrag aufgezeichnet. Die Film-Crew hatte ihr versichert, dass nach dem Schnitt alles ganz wunderbar aussehen würde, aber das war ihr im Angesicht der sich anbahnenden Katastrophe kein Trost gewesen.
Sie betrat den Kirchenraum und schaltete auch hier ein paar Lichter an. Zumindest die Bühne war fertig. Die als Schmuck an den Bänken angebrachten Tannenzweige verströmten einen angenehmen Duft. Messingvasen mit Stechpalmenzweigen und Töpfe mit Weihnachtssternen säumten den Weg vom Eingang zum Altarraum. Der Bereich, in dem die Musiker sitzen würden, war vollgestopft mit Rays Keyboard und verschiedenen Amplifiern, Lautsprechern und einem Mischpult, an dem kleine Standby-Lampen blinkten. Zu Maureens Überraschung war auch ein Schlagzeug aufgebaut worden.
Tief durchatmen, sagte sie sich und nahm ein paar tiefe, reinigende Atemzüge. Sie suchte in ihrem Inneren nach einem Funken Hoffnung. Weihnachten hatte immer einen magischen Effekt auf sie und ihr Leben gehabt. Egal, wie schlimm es auch um sie stand, zu Weihnachten hatte sie es immer geschafft, Hoffnung und Heilung zu finden. Der Geist der Feiertage und die Freundlichkeit und Großzügigkeit der Menschen hatten einen wohltuenden Effekt auf ihre Seele.
Das hier sollte ihr Moment sein – ein Abend voller Lieder und Feierlichkeiten, ein Abend, den sie schon immer hatte gestalten wollen.
Nun ja, vielleicht hatte Eddie ja noch ein Ass im Ärmel, dachte sie mit einem Hauch Zynismus. Trotz der Hoffnungen, die sie für das Krippenspiel hatte, fühlte sie sich deprimiert, wenn sie an die Aufführung dachte. Zu viele Gedanken kreisten wie wild durch ihren Kopf – die Schließung derBücherei, ihr schmerzendes Herz, die fürchterlichste Generalprobe, die sie je erlebt hatte. Vielleicht hatte Eddie recht, und sie lag falsch, was den Zauber der Weihnacht anging. Im Moment sah es auf jeden Fall gehörig danach aus.
„Danke, dass du gekommen bist“, sagte Maureen zu Olivia, die ihr hinter der Bühne zur Hand ging. „Jetzt heißt es: alles oder nichts.“
„Entspann dich“, erwiderte Olivia. „Alles wird gut.“
„Wie vielen Katastrophen ist dieser Satz wohl schon vorausgeeilt?“, fragte Maureen sich laut. „Ich wette, das haben die Leute auch gesagt, kurz bevor die Titanic den Eisberg gerammt hat.“ Sie beugte sich vor, um durch den Spalt im Vorhang zu schauen. Beinahe jeder Platz in der Kirche war besetzt. Das Filmteam hatte alles aufgebaut, die Kabel schlängelten sich am Rand des Gangs entlang. Aufregung lag in der Luft, und trotz ihrer dunklen Vorahnungen spürte Maureen, wie sie sich davon mitreißen ließ. Sogar der normalerweise mürrische Mr Byrne war da; er saß mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Schwiegertochter in einer Reihe. Maureen fragte sich, ob es für die Bücherei anders gekommen wäre, wenn sie seiner Bitte nachgegeben und Cecil die Rolle des Engels gegeben hätte. Vermutlich nicht, dachte sie. Sie würde sich jetzt nur noch schlechter fühlen, weil sie auf die Erpressung eingegangen wäre.
„Fünf Minuten“, sagte sie zu Ray Tolley, der gerade nach draußen gehen und die Instrumente stimmen wollte. „Schaffst du das?“
Er grinste. „Keine Sorge. Hilfe ist unterwegs.“
„Ich brauche die Hilfe aber hier und jetzt“, sagte sie.
„Wie ich schon gesagt habe, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.“ Er musterte sie einen Augenblick. „Alles okay bei dir?“
Maureen lachte, weil ihr nichts Besseres einfiel.
„Vielleicht wollt du und Eddie nach der Aufführung …“
„Eddie und ich wollen nichts mehr miteinander zu tun haben“, unterbrach sie ihn. „Tut mir leid, aber es funktioniert nicht mit uns. Wenn das hier alles vorüber ist, werde ich sogar das Gericht bitten, seinen Dienst an der Gemeinde für beendet zu erklären.“
Ray lächelte. „Wusstest du das nicht? Seine Verurteilung war schon vor Jahren abgebüßt.“
Es dauerte einen Moment, bis seine Worte einsanken. Eddie hatte sie glauben lassen, dass er nur aufgrund des Gerichtsurteils beim Krippenspiel mitmachte. Dabei tat er es
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