Weihnachtslied (German Edition)
läuft Freitag in der kleinen Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hob, hallo!«
Dann sagte er mit einem schnellen Wechsel der Gefühle, der seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und murmelte: »Ich wünschte – aber es ist jetzt zu spät.«
»Was willst du?« fragte der Geist.
»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang ein Knabe ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm etwas gegeben, weiter war es nichts.«
Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«
Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer, und das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er wußte nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe, und daß er's nun wieder sei, der dort allein sitze, während die andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen Weihnachtsfeier.
Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und ab. Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.
Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küßte ihn und begrüßte ihn als ihren »lieben, lieben Bruder«.
»Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber Bruder!« sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend. »Dich mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!«
»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.
»Ja!« antwortete die Kleine in überströmender Freude. »Nach Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher als sonst, daß es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich zu Bett ging, sprach er so freundlich mit mir, daß ich mir ein Herz faßte und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest –, und er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen. Und du sollst jetzt dein freier Herr sein«, sagte das Kind und blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher zurückkehren; aber erst sollen wir alle zusammen das Weihnachtsfest feiern und recht lustig sein.«
»Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!« rief der Knabe aus.
Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis an seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein, und lachte wieder und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie ihn in kindlicher Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit leichtem Herzen.
Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: »Bringt Master Scrooges Koffer herunter!« Es war der Lehrer selbst, der Master Scrooge mit brutal hochnäsiger Herablassung anstierte, und ihn in großen Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte. Dann führte er ihn und seine Schwester in ein feuchtes, fröstelnerregendes Empfangszimmer, an dessen Wänden Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben vor Kälte glänzten. Hier brachte er eine Flasche merkwürdig leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen herbei und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen auserlesenen Leckerbissen. Auch schickte er eine hungrig aussehende Magd hinaus, um dem Postillion ein Gläschen anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte, wenn es von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht kosten. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf den Wagen gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von dem Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und fuhren so schnell zum Garten hinaus, daß der Reif und der Schnee wie Schaum von den immergrünen Gebüschen hinwegstob.
»Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte verwelken können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein großes Herz.«
»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen, Geist. Gott verhüte es.«
»Sie starb als Frau«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube ich.«
»Ein Kind«, antwortete Scrooge.
»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«
Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: »ja.«
Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter sich gelassen hatten, befanden sie sich doch plötzlich mitten in den
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