Weihnachtszauber 01
wäre, als ihr die Ehe anzutragen, wenn sie ihn auch nur ein wenig ermutigen würde. Zehn Pfund wären für ihn ein Nichts. Und er war nur einer von vielen Bewunderern der lieblichen Miss Spencer.
Der Gedanke, der dicke alte Mann würde der jungen Dame unter die Arme greifen, war William allerdings zuwider.
„Ich habe einen Plan“, sagte sie gerade mit fester Stimme. „Mach dir keine Gedanken. Ich kümmere mich darum, James.“
„Kann ich nichts tun?“
Miss Spencer blieb einen Moment stumm, dann antwortete sie streng: „Ich denke, du hast fürs Erste genug getan. Nenn mir nur seine Adresse.“
Ihr Bruder seufzte. „Na schön. Danke, Vinny.“
William konnte es nicht fassen. Der kleine Feigling gab tatsächlich nach. Das Kratzen einer Feder auf Papier war zu hören. Dabei hatte er nicht einmal gefragt, was seine Schwester zu tun gedachte. Beunruhigte ihn nicht, was sie für ihn zu opfern bereit sein könnte?
Unwillkürlich schloss William die Hand um den Geldschein in seiner Jackentasche.
Wäre er ein Gentleman, würde er Miss Spencer seine zehn Pfund anbieten und mit einem Schlag all ihre Probleme lösen.
Doch er war schon seit seinem vierzehnten Lebensjahr kein Gentleman mehr.
Nein. Seine zehn Pfund sollten ihm wenigstens seinen größten Traum erfüllen. Wenn Miss Spencer sich schon opfern musste, dann könnte sie es auch für ihn tun. Sie hatte ihm schließlich frohe Weihnachten gewünscht.
Nun, sie würde ihm ein fröhliches Weihnachtsfest schenken.
Die Adresse auf dem Papier war noch feucht von der Tinte, als Lavinia aus ihren Gedanken gerissen wurde.
„Er nennt Sie Vinny?“
Sie sah auf und errötete. Mr. William White stand gelassen da. Ausgerechnet er war offensichtlich Zeuge ihres Gesprächs mit James geworden. Dabei hatte sie gehofft, dass sie leise gesprochen hatten und ihr Kunde am anderen Ende des Raums nichts hören würde. Sie musste sich geirrt haben.
Wie viel hatte er verstanden? Wie sollte sie sich in einem so peinlichen Moment verhalten? Heiße Röte schoss ihr in die Wangen. Und zu allem Überfluss schlug ihr Herz trotz der beschämenden Lage ganz wild vor Aufregung, weil Mr. William White endlich ein Gespräch mit ihr begonnen hatte.
„Ja“, brachte sie hastig hervor, „er nennt mich Vinny. Es ist ein Kosename für ...“
„Ich kenne Ihren Vornamen, Miss Spencer.“ Er nahm den Blick nicht von ihr, während er langsam auf sie zuschlenderte und hinter ihren Schreibtisch trat. Plötzlich stand er so nahe vor ihr, dass Lavinia der Atem stockte. Viel zu nahe. Wenn sie auf einem normalen Stuhl gesessen hätte, hätte sie den Kopf heben müssen. Selbst auf diesem hohen Hocker musste sie zu Mr. White aufsehen, so groß war er.
Er lächelte. In ihrer Erregung musste sie schlucken. Noch nie hatte er sie angelächelt, soweit sie sich erinnern konnte. Und ein solches Lächeln – spöttisch und doch verführerisch – hätte sie bestimmt nicht vergessen.
Im nächsten Moment spürte sie seine Hand auf ihrer.
Sie wusste, dass sie sich ihm entziehen sollte. Und sie sollte ihm eine Ohrfeige geben für die Frechheit, die er sich einer anständigen Dame gegenüber herausnahm. Doch seine Hand war so warm, so stark und gab ihr das Gefühl, beschützt zu werden. Ein ganzes Jahr lang hatte sie versucht, Mr. White aus der Reserve zu locken. Jetzt war sie viel zu froh darüber, ihm endlich näherkommen zu können, und würde auf keinen Fall etwas tun, um ihn zu entmutigen.
„Ich weiß, wofür Vinny steht. Allerdings ziehe ich Lavinia vor.“ Er beugte sich über sie.
Er sprach so sanft, sein Ton klang so verlockend, dass Lavinia alle Bedenken beiseitewischte. Er will mich küssen, dachte sie. Heiße Erregung packte sie, und sie öffnete unwillkürlich die Lippen. Als er mit dem Daumen über ihre Hand strich, kam sie ihm kaum merklich entgegen. Ihr Blick verweilte verträumt auf seinen festen Lippen, die ihren so nah waren.
Er wird mich küssen, und ich werde es ihm erlauben.
Doch stattdessen gab er ihre Hand frei. Lavinia glaubte, seine Finger noch immer auf ihrer Haut zu spüren, da war er schon zurückgetreten.
„Miss Spencer, ich denke, wir sollten uns morgen unterhalten“, sagte er lächelnd.
Bevor sie ihn darauf aufmerksam machen konnte, dass morgen Sonntag war und die Leihbibliothek somit geschlossen, setzte er den Hut auf und neigte zum Abschied den Kopf. „Kommen Sie um eins zu mir.“
Damit wandte Mr. William White sich ab und verließ den Raum. Die Glocke läutete,
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