Weihnachtszauber 01
bestechen, meinst du.“ Das war eindeutig Miss Spencers ungewohnt strenge Stimme. Da Stille in der Bibliothek herrschte, konnte William jedes Wort hören.
„Aber Mr. Cross versprach mir zehn Prozent! Und er ließ sogar einen richtigen Vertrag aufsetzen. Da du mich hier nie helfen lässt, dachte ich, ich könnte auf diese Weise dazu beitragen, Papas Schulden zu bezahlen. Ich wollte außerdem ein Weihnachtsgeschenk für dich kaufen. Wann hast du das letzte Mal ein neues Kleid bekommen, Vinny?“
„Ich würde viel lieber meine zwei Pfund zurückbekommen, James. Wirst du mir jetzt endlich erklären, was du damit gemacht hast?“
Er senkte den Blick. „Ich hatte gehofft, sie wieder zurücklegen zu können, bevor du etwas bemerkst. In Mr. Cross’ Lagerhaus sollen immerhin dreihundert Ballen Tee und mehre Kisten Baumwolle liegen. Zehn Prozent davon wären ein Vermögen gewesen.“
Einen Moment sprach keiner von beiden, dann erwiderte Miss Spencer: „Ich verstehe. Da du nicht unter dem Gewicht enormer Gewinne zusammenzubrechen scheinst, muss ich wohl davon ausgehen, dass dein Streifzug in das Handelsgewerbe erfolglos geblieben ist, oder?“
„Als ich ihm die zwei Pfund gab“, antwortete James bedrückt, „meinte Cross, wir bräuchten weitere fünfzig, um die Steuereinnehmer zu bezahlen.“
William hatte von ähnlichen Tricks gehört. So mancher abgebrühte Gauner suchte sich einen unerfahrenen, ahnungslosen Unglücksraben und versprach ihm Reichtümer, wenn er ihm nur eine winzige Summe zu geben bereit wäre. Es begann meist mit einigen Shilling. Danach verlangte der Betrüger drei Pfund, um angeblich jemanden zum Schweigen zu bringen, und schließlich immer mehr und immer mehr.
Das böse Spiel fand erst dann ein Ende, wenn das Opfer völlig ausgenommen worden war.
„Da habe ich ihn natürlich durchschaut“, fuhr der junge Spencer fort. „Ich nannte ihn einen Betrüger. Und dann hat er mir gedroht, mich vor den Friedensrichter zu bringen, sollte ich meinen Schuldschein nicht begleichen.“
„Deinen was?“
James ließ sich mit seiner Antwort Zeit. „Ich habe dir doch von diesem Vertrag erzählt“, begann er schließlich zögernd.
„Ja?“
„Wie es aussieht, war das Papier, das ich unterschrieben habe, in Wirklichkeit ein Schuldschein über zehn Pfund.“
Der entsetzte Laut, den Miss Spencer von sich gab, überraschte William nicht besonders. Er schaute vorsichtig zu ihr hinüber. Sie saß an ihrem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, und flüsterte fassungslos: „Du meinst, du hast das Papier nicht gelesen, bevor du unterschriebst?“
„Er sah so ehrlich aus.“
Abrupt schob sie den Stuhl zurück und erhob sich. William zog sich hinter die Regale zurück, bevor sie ihn entdecken konnte.
„Lieber Gott“, fuhr sie ihren Bruder wütend an. „Ein Mann bietet dir eine Partnerschaft an, die auf versuchter Bestechung basiert, und du stellst seine Ehrlichkeit nicht infrage?“
„Äh ... nein“, stammelte er. „Vinny, wenn ich vor den Friedensrichter muss, könnten wir da nicht behaupten ...“
„Sei still“, fiel sie ihm ungeduldig ins Wort. „Ich überlege.“
Auch William überlegte. Betrüger und Halsabschneider verfügten meist über die Fähigkeit, sich vor Gericht sehr gut zu verkaufen. Ein gewöhnlicher Mensch konnte es nicht riskieren, sich mit ihnen anzulegen. Er beneidete den jungen James nicht.
„Nein“, sagte Miss Spencer, fast als hätte sie seine Gedanken gelesen und beschlossen, ihm zu widersprechen. „Wir würden gewinnen, aber wir müssten einen Anwalt bezahlen.“
„Vinny, haben wir zehn Pfund? Können wir nicht einfach versuchen, ihn loszuwerden?“
„Nicht, wenn wir den Apotheker bezahlen wollen.“
Es folgte grimmiges Schweigen. Wie es aussah, hat Miss Spencer meine Anwesenheit vergessen, dachte William. Wäre er ein Gentleman, hätte er sich schon vor Minuten höflich verabschiedet und wäre gegangen.
„Es gibt da einige Möglichkeiten“, sagte Miss Spencer.
William war ganz ihrer Meinung. Die Zahl dieser Möglichkeiten, nahm er an, entsprach der Zahl der ledigen Männer, die die Leihbibliothek frequentierten – ohne dass er die verheirateten unter ihnen ganz ausschließen konnte. Jeder einzelne von ihnen wäre sicher nur allzu gern bereit, ihr bei ihren Problemen zu helfen. Warum sollte er der einzige sein, der ein Auge auf Miss Spencer geworfen hatte? Tatsächlich vermutete er, dass Mr. Bellows, einem wohlhabenden Kaufmann, nichts lieber
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