Weil du fehlst (German Edition)
Mr Walenta leitet sie. Kennst du ihn schon? Vielleicht hättest du Spaß.«
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, aber Oya kam mir zuvor. »Theater-AG? Das wird nicht gehen, Mr Rosen. Kassandra hat eine geradezu panische Öffentlichkeitsphobie.«
Ich warf ihr einen ärgerlichen Blick zu, obwohl es stimmte. Ich kam noch nie gut damit klar, in der Öffentlichkeit vor vielen Leuten zu sprechen. Vom Theaterspielen ganz zu schweigen.
Mr Rosen lächelte mir aufmunternd zu. »Vielleicht gehst du einfach mal vorbei und siehst es dir an. Ich könnte mir vorstellen, du hättest Spaß. Und Phobien kann man schließlich überwinden. Das nächste geplante Projekt ist Endstation Sehnsucht . Ein tiefgründiges Stück. Ich mag es sehr.«
Weil unsere Mittagspause sowieso inzwischen vorbei war, gingen wir zusammen mit Mr Rosen den langen, gewundenen Trampelpfad zurück zur Schule. Brendan verwickelte ihn für eine Weile in eine kontroverse Diskussion darüber, wem die halbe Chesterfield in Mr Rosens Tasche nun eigentlich wirklich zustand. Unterwegs klingelte Oyas Handy.
»Rabea …!«, sagte sie, nachdem sie einen Blick auf das kleine Display geworfen hatte. Sie verdrehte die Augen.
»Ob sie es uns jetzt sagt? Dass sie schon wieder weg will, meine ich. Verdammt, welchen Grund hätte sie sonst, während der Schulzeit anzurufen? Das macht sie doch sonst nicht. Ich wette, sie hat einen tollen, neuen Lover aus Polen aufgetan und will jetzt so schnell wie möglich nach Warschau oder so!«
Aber der Anruf hatte nichts mit Rabea persönlich zu tun. Es ging vielmehr um Billyboy.
»Kassandra, stell dir vor: Er hat Oberst von Gatow gefressen!«, berichtete Oya aufgeregt und kam uns hinterhergerannt. Erst gestern Abend hatten Oya und ich mit unserer neuen Nachbarin Zelda, einer wahnsinnig dicken Sechzehnjährigen, eine Partie Cluedo in unserem Wohnzimmer gespielt und das Spiel hinterher leichtsinnigerweise stehenlassen. Dabei wussten wir doch, dass unser Stromboli-Kater eine perverse Leidenschaft hat, Dinge, die aus Katzensicht interessant aussehen, zu verspeisen, sofern er es schafft, sie irgendwie hinunterzuwürgen. Da war mal ein Ring mit Strass-Stein, ein anderes Mal ein Q-Tipp zum Ohrenreinigen und einmal sogar ein Zahnbürstenkopf von einer Ökozahnbürste mit Wechselköpfen.
»Die blöde Figur hängt ihm jetzt irgendwie in der Kehle fest«, schluchzte Oya. »Rabea fährt ihn zu einer Tierärztin, aber dann muss sie gleich weiter. Sie hat einen wichtigen Termin wegen dieser blöden Psychiatriewände. Wir müssen übernehmen. – Dürfen wir, Mr Rosen? Ich habe nur noch Bildhauen. Und Kassandra … – Kassandra, was hast du jetzt noch?«
Oya sah verzweifelt aus.
Ich hatte Leichtathletik und Mr Rosen erlaubte uns, zu Billyboy zu fahren. Und nicht nur das: Er lieh uns außerdem Darius, der uns hinbringen sollte. Schließlich galt es, in möglichst kurzer Zeit eine Strecke von etwa zwanzig Meilen zu bewältigen. Ohne ein Auto wären wir chancenlos.
»Danke!«, riefen wir und stürzten los zu Darius‘ altem Pick-up, der auf dem Schülerparkplatz stand. Wenn Rabea nicht übertrieben hatte, bestand die Gefahr, dass Oberst von Gatow Billyboy umbrachte.
Rabea hatte Oya die Adresse der Tierklinik genannt, und dank des Navigationssystems auf Oyas Smartphone fanden wir sie schnell. Billyboy hatte es inzwischen Gottseidank geschafft, Oberst von Gatow durch seine Katzenkehle zu quetschen, aber gerettet war er dadurch noch nicht.
»Wir werden ihn operieren müssen«, erklärte uns einer der Klinikärzte und wies mit besorgter Miene auf ein Röntgenbild von Billyboys Verdauungstrakt. Darius nahm meine Hand in seine. Außer dem Schemen von Oberst von Gatow, der lässig in Billyboys Magen stand, gab es da noch einen anderen Schatten.
Oya bestätigte die Frage des Tierarztes, ob Billyboy sich in der letzten Zeit häufiger übergab, und das wiederum bestätigte den Verdacht des Arztes, der andere Schatten in Billyboys Gedärmen sei mit Sicherheit ebenfalls etwas verbotenerweise Heruntergeschlungenes, Unverdauliches.
»Wir werden sehen«, murmelte er, während er an Billyboys Bauch herumtastete.
Rabea verabschiedete sich hastig, während Oya dem Arzt und unserem alten Kater, der jetzt matt und benommen in dessen Armen lag, in den Operationsraum folgte. Darius und ich blieben alleine zurück. Gut, nicht wirklich alleine, denn da waren noch etliche Wartende im Wartezimmer, ein paar Menschen und ein paar unruhige Katzen, Hunde und
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