Weil du fehlst (German Edition)
ächzend auf den Rücken, hob den Hintern, zupfte eine ziemlich zerknautschte Zigarettenschachtel aus seiner Gesäßtasche, zog mit gespitzten Lippen eine Zigarette heraus und zündete sie an, indem er sein Gewicht auf die Seite verlagerte und sich mit dem linken Ellenbogen ins Gras stützte. Anschließend ließ er sich aufatmend zurücksinken, eine Rauchwolke über sich.
»Falls es von allgemeinem Interesse ist: Meine Grandma hat vor ein paar Jahren noch mal geworfen«, sagte er grinsend und inhalierte tief den Rauch seiner Chesterfield. »Also, noch ein Kind bekommen, meine ich. Wenn das nicht voll peinlich ist! Ich habe somit jetzt einen Onkel, der drei Jahre alt ist. Er heißt Jayden. Onkel Jayden, sozusagen. Er mag es, wenn ich ihn unter dem Kinn kitzle.«
Wir lachten.
»Wie alt ist denn deine Grandma?«, erkundigte sich Oya hinterher eine Spur verwirrt.
»So Mitte Fünfzig. Sie bekam meine Mom, als sie noch sehr jung war – und Onkel Jayden eben vor drei Jahren.«
»He, Zigarette aus, Brendan!«, rief in diesem Moment eine strenge Stimme vom Wegrand am Kopf der Wiese.
»Oh, Rosenalarm!«, murmelte Brendan ärgerlich, drückte seine Kippe gekonnt mit Daumen und Zeigefinger aus und steckte sie sich hinters Ohr.
»Und so was nennt sich nun Vertrauenslehrer. Lehrer des Vertrauens«, sagte Darius kopfschüttelnd. »Warum ausgerechnet dieser Trottel die Vertrauenslehrerwahl gewonnen hat, wird mir immer ein Mysterium bleiben.«
Mr Rosen kam unterdessen zu uns auf die Wiese und bestand darauf, dass Brendan die halbe Chesterfield hinter seinem Ohr hervorholte und abgab.
»Wer sagt, dass ich das Ding nicht später zu Ende rauchen kann, wenn die Schule rum ist?«, regte Brendan sich auf.
»Ich sage das«, entgegnete Mr Rosen und verstaute die gelöschte Zigarette sorgfältig in seiner Tasche.
»Oh Mann«, murmelte Brendan und wälzte sich wieder auf den Bauch, während Mr Rosen uns der Reihe nach ansah.
»Darius, wie sieht es aus? Bist du diesen Winter wieder beim Basketballturnier dabei?«
Darius zuckte mit den Achseln. »Man wird sehen. Bis zum Winter ist es noch lang hin. Wer ist so blöd und denkt jetzt schon an den Winter? Bei diesem Wetter?«
Darius machte eine weitausholende Geste, die die ganze McKinley-Wildnis umfasste. Einschließlich des blauen Himmels und der strahlenden Sonne.
»Die Listen hängen jedenfalls schon aus«, erklärte Mr Rosen und wandte sich an meine Schwester, die dabei war, an ihrem Smartphone eine Nachricht auf Schwedisch an Jonna in Göteborg zu verfassen. »Wie ist es mit dir? Kommst du mit deinem Geschichtsreferat klar, Oya? George Washingtons Winter in Valley Forge ist dein Thema, wenn ich mich nicht irre, oder?«
Oya nickte zerstreut. Natürlich nickte sie. Schulisch kam Oya mit allem klar, schon seit der ersten Klasse. Sie nahm an der Woodrow-Wilson-Schule wieder am Hochbegabtenprogramm teil, wie sie es vorher auch in Paris getan hatte.
Dinge, mit denen Oya Deborah Armadillo weniger gut klarkommt als mit der Schule:
Häufige Umzüge – Rabeas Launen – Kontrollverlust und andere Verluste – Vaterlosigkeit. Hierzu ein Beispiel: Oya hält verbissen den Kontakt zu: Pavel (in Prag), Edgar (in Milwaukee), Sergio (auf Stromboli) und Jérôme (in Paris). Mit jedem von ihnen hatten wir eine Weile gelebt, sie alle waren Exbeziehungen von Rabea, längst gelöscht aus ihrem Kopf, aber fest verhaftet in Oyas, die ihnen regelmäßig schrieb. Mal eine E-Mail, aber manchmal auch richtige Briefe oder schwarzweiße Postkarten, von denen sie gestapelte Vorräte hortet.
Nur Sergio schrieb regelmäßig zurück. Und Edgar schrieb uns beiden zu unseren Geburtstagen und an Weihnachten. Die Inhalte seiner Schreiben waren geradezu lächerlich, er schrieb über seine Reptilien, Neuanschaffungen, Gestorbene, Kränkliche, erfolgreich Geschlüpfte und dergleichen. Und manchmal verlor er sich dabei in gähnend langweiligen Details, denn – im Ernst – niemand außer ihn selbst interessiert es doch wohl, mit welcher zink- oder schwefelhaltigen Paste man am besten den Hautausschlag eines kränklichen Leguans heilt, oder? Trotzdem hängt Oya an diesen Schreiben, Sergios und Edgars, und es kränkt sie, dass Pavel und Jérôme uns anscheinend vergessen haben wie Rabea die beiden vergessen hat.
»Und du, Kassandra? Wie geht es dir? Gut eingelebt an unserer Schule?«, riss mich Mr Rosen in diesem Moment aus meinen Gedanken. »Hast du mal darüber nachgedacht, in die Theater-AG zu gehen?
Weitere Kostenlose Bücher