gutes oder ein schlechtes Zeichen? , fragte sich Mike
verzweifelt.
Verwackeltes Durcheinander folgte. Vielleicht hatte der Kameramann
das Gerät einen Moment sinken lassen. Mike kniff die Augen zusammen, als er
merkte, dass ihm übel zu werden drohte. Das Objektiv verweilte einen Moment auf
einem harmlosen Tischbein, an dem ein schmutziger weißer Turnschuh mit
geöffneten Schnürsenkeln lehnte. Dieses Bild, das ihm in seiner Unschuld für
unendlichen Verlust zu stehen schien, erschütterte ihn. Im Hintergrund waren
Stimmen zu hören – sehr undeutlich allerdings. Mike war jedoch sicher, dass er
die Worte Hey und Schlag zu und Los, du bist dran hörte (vielleicht nicht in
dieser Reihenfolge), dann vollführte die Kamera plötzlich einen wilden
Sturzflug zu dem dritten Jungen hinunter. ( Nein, dachte Mike, Junge trifft es in diesem Fall überhaupt nicht .
Es gab einen Moment, da Jungen unversehens zu Männern wurden, und mit Alter,
Bartwuchs oder Stimmlage hatte das nichts zu tun. Es zeigte sich – zu diesem
Schluss war er gekommen, nachdem er es in nahezu zwanzig Jahren an höheren
Schulen unzählige Male beobachtet hatte – vielmehr in der festeren Muskulatur,
in der klarer definierten Kontur des Kinns, in der ganzen Haltung.) Dieser
junge Mann allerdings hatte alle Haltung verloren, während er über dem Körper
des rücklings daliegenden, herzzerreißend schönen Mädchens onanierte, das ihn
mit rhythmischen Zuckungen und Körperverrenkungen animierte, die es
wahrscheinlich in irgendwelchen Filmen gesehen hatte. Der Kameramann hatte den
Blickwinkel geändert, und deutlich, allzu deutlich, trat jetzt die absolute
Entschlossenheit im Gesicht des jungen Mannes zutage, eines, wie Mike
augenblicklich erkannte, sogenannten PG , eines Post Graduate, der seinen Schulabschluss bereits in der Tasche hatte, aber vor Aufnahme des
Universitätsstudiums noch ein zusätzliches Schuljahr hatte einlegen wollen. Man
hatte ihn nach Avery geholt, damit er das Basketballteam in die
Entscheidungsspiele um die Meisterschaft führte. Mike rechnete nach und kam auf
die Zahl neunzehn kurz bevor der junge Mann, den die
anderen Schüler J. Dot (wie in
seiner E-Mail-Adresse J.
[email protected])
nannten, sich über Brust, Hals und Kinn des mindestens vier Jahre jüngeren
Mädchens ergoss. Mike hielt das Band an und wünschte, er könnte so auch die
Zukunft anhalten, wenigstens lange genug, um zu überlegen, was er mit diesem unwillkommenen
und hochexplosiven Film in seiner Kamera anfangen sollte.
Er lehnte sich in das Sofa des Fernsehzimmers zurück, das er während
der ersten Jahre in dem imposanten georgianischen Haus seiner Stellung
angemessen gern als Bibliothek bezeichnet hatte. Tatsächlich aber hatten er und
Meg in diesem Raum mehr Zeit mit Fernsehen als mit Lesen verbracht und sich
schließlich angewöhnt, ihn als das zu bezeichnen, was er war. Mike atmete
schwer, sein Mund war trocken. Dass die Sache auf dem Band noch weiterging,
schien undenkbar. (Hatten nicht alle drei Jungen innerhalb von Minuten
nacheinander ihren Orgasmus gehabt? Aber das waren natürlich Teenager.) Er
wollte sich das nicht weiter antun. Einerseits war er froh, andererseits tat es
ihm leid, dass Meg nicht zu Hause war; froh war er, weil er in Ruhe darüber
nachdenken wollte, was jetzt zu tun war, und leid tat es ihm, weil sie ihn
vielleicht getröstet hätte. Obwohl – wahrscheinlich eher nicht. Wäre Meg so
entsetzt gewesen wie er? War sie den jungen Leuten näher? Verstand sie sie
besser?
Mike fragte sich sofort, wo und in welchem Wohnheim die Sache
stattgefunden hatte. Nach der Anzahl der Bierdosen auf dem Boden zu urteilen,
war da offenbar eine Sauferei zur Sexorgie ausgeartet. Vielleicht lag auf einem
Schreibtisch etwas Verräterisches, vielleicht war auf einem Kalender ein Datum
angestrichen. Es war ziemlich sicher ein Samstagabend gewesen; an Wochentagen,
auch freitags, wenn am Samstag Unterricht war, mussten die Schüler um zwanzig
Uhr zur Studierstunde in ihren Wohnheimen sein. Am vergangenen Wochenende war
ein Schulfest gewesen. Geoff Coggeshall, zweiter Direktor und für Schülerangelegenheiten
zuständig, hatte erwähnt, dass die übliche Zahl junger Leute beim Trinken
erwischt worden war oder sich verdächtig gemacht hatte. Der Alkoholmissbrauch
war einfach nicht zu stoppen und stand ganz oben auf der Sorgenliste beinahe
aller Leiter weiterführender Schulen im Land. Obwohl zahlreiche Konferenzen und
Seminare zu dem Thema veranstaltet worden