Weil sie sich liebten (German Edition)
Mahlzeiten.
Damals dachtest du, ihr, du und Arthur, würdet die Hütte auch noch mieten, wenn
euer Sohn zum Studium weggeht. Rob und seine neuen Freunde von der Brown
konnten ja an den Wochenenden kommen.
Beim Anblick des Hinweisschilds nach Avery drückt dir Beklemmung die
Luft ab. Du fährst durch den Ort – am Kramladen, an der Kirche, am Rathaus
vorbei – und biegst beim Tor ab. Du passierst die Sportplätze, leer und
matschig um diese Jahreszeit, und dann die Turnhalle. Du erinnerst dich an die
vielen Basketballspiele, die du dir angesehen hast.
Als du deinen Wagen im quadratischen Innenhof parkst, zittern dir
die Hände so stark, dass du Mühe hast, die Wagenschlüssel in die Manteltasche
mit dem Reißverschluss zu schieben. Mit festem Schritt gehst du auf den Granitbau
zu, in dem der Schulleiter sein Büro hat. Instinktiv schaust du zu einem
Fenster hinauf, als müsstest du dahinter das Gesicht deines Sohnes sehen,
sehnsüchtig wartend wie früher, wenn du ihn bei der Babysitterin zurücklassen
musstest.
Du betrittst ein elegantes Foyer, das eher dem Salon einer Villa
gleicht als dem Verwaltungstrakt einer Schule. Das Büro des Schulleiters ist
ganz hinten rechts. Die Frau am Empfang kennt dich und sagt, noch ehe du fragen
kannst: Ihr Sohn ist im Konferenzzimmer. Er wartet auf Sie. Mit einer Geste weist sie dir den Weg.
Du gehst über einen Perserteppich, immer versucht zu laufen. Du
gehst an holzgetäfelten Wänden, den Porträts ehemaliger Schulleiter, elegant
geschwungenen Fenstern vorüber, durch die du in der Ferne die Berge erkennen
kannst. In den Räumen sind Menschen. Die Stille ist unnatürlich.
Du erreichst eine Tür. Auf einem Stuhl in der Ecke sitzt ein Junge.
Er hebt kurz den Kopf und sieht zu dir herüber. Du erkennst den Jungen nicht.
So ist es immer. Er ist stets älter, als du ihn in Erinnerung hast. Aber
diesmal ist es anders. Er sitzt mit auf die Knie gestützten Ellbogen und
gesenktem Kopf. Er steht nicht sofort auf, als er dich sieht. Es wird kein
Aufeinanderzugehen geben, keine kurze Umarmung, kein Lächeln. Sein Polohemd ist
aus der Hose gerutscht. Sein Gesicht gleicht einer holprigen Landschaft, mit
Pickeln und behaarten Stellen hier und dort. Seine Augenbrauen sind dichter,
als du es in Erinnerung hast. Sein Blick ist müde, seine Augen sind rot
gerändert. Vielleicht hat er geweint.
Du sprichst ihn an. Du sagst seinen Namen.
Owen
O wen wollte den Hof verkaufen. Aber es
wäre ihm gegen den Strich gegangen, das Land an die Schule zu verkaufen, deshalb wartete er ab. Am liebsten
hätte er es irgendeinem jungen Paar gegeben, wie er und Anna eines gewesen
waren, aber niemand war scharf auf die Belastung. Mit der Landwirtschaft konnte
man heute weiß Gott kein Geld mehr verdienen.
Früher einmal hatten er und Anna vierzig eingetragene Romney-Schafe
gehabt, erstklassige Zuchtschafe. Keine Scrapie, keine Schäden am Vlies. Zum
Spinnen gab Anna die Vliese weg, das Färben erledigte sie selbst und verkaufte die
Wolle dann auf Bauernmärkten. Weiche, preisgekrönte Vliese.
Ein Lamm kam jedes Frühjahr auf den eigenen Tisch. Immer ein männliches
Tier. Owen und Anna verdienten ihr Geld hauptsächlich mit dem Verkauf der
anderen Lämmer als Zuchttiere. Und sie verkauften die Schweine. Auf dem Hof
hatte alles seinen Platz und seine Bestimmung. Selbst die Hunde.
Das Land war schön.
Aber der Hof, der sah nicht mehr so aus wie früher.
Es war Annas Idee gewesen, Silas auf das Internat zu schicken. Owen
hatte gemeint – ach, was spielte es jetzt noch für eine Rolle, was er damals
gemeint hatte? Er hatte gemeint, die öffentliche Highschool wäre genauso gut,
aber dann hatten sie den Musik- und den Kunstunterricht eingestellt, er war
nicht einmal mehr gegen Bezahlung zu haben. Es waren keine Lehrer da. Immerhin
gab es Sport an der öffentlichen Schule, aber an Basketball wollte Owen jetzt
nicht denken.
Der Hof war einmal schön gewesen. Die Green Mountains auf der einen
Seite, die Kette der Adirondacks auf der anderen. Owen kannte keinen schöneren
Flecken. Silas hatte dieses Land geliebt. Es war seit Generationen in Owens
Familie. Annas Familie stammte oben aus dem Norden, aus der Umgebung von Burlington.
Owen gab sich selbst die Schuld. Hätte er, als Anna mit dem Gedanken
an das Internat gespielt hatte … Aber auch daran wollte er nicht denken.
Eines Tages würden er und Anna aus Avery weggehen müssen, es würde
ihm sehr wehtun. In Avery war es immer noch wie in den
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