Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
waren, hatte sich das Problem nach
Mikes Meinung im laufenden Jahr noch verschlimmert. Er fragte sich manchmal, ob
durch diese Kampagne gegen den Alkoholmissbrauch, die eigentlich auf die
Gefahren des Trinkens aufmerksam machen sollte, das Thema nicht tatsächlich
ungewollt so sehr in den Vordergrund gerückt wurde, dass es mittlerweile eine
unerhörte Bedeutung erlangt hatte. Jede
Schülergeneration hatte ihre Alkoholexzesse, aber nach allen Daten, die er
kannte, war ziemlich klar, dass die jungen Leute immer früher mit dem Trinken
begannen und der gewohnheitsmäßige Konsum von Alkohol wesentlich weiter
verbreitet und intensiver war als noch ein Jahrzehnt zuvor.
    Er ließ den Kopf an die Rückenlehne sinken und schloss die Augen.
Das Haus war leer und still. Er hörte den Wind an den Fenstern rütteln und, aus
der Küche, das Geräusch der neuen Eiswürfelmaschine. Jetzt musste er handeln,
Schüler befragen, den Disziplinarausschuss zusammenrufen, und dies alles
unbemerkt von der Presse, die, wenn sie von der Sache Wind bekam, das Ganze zu
einem Riesenskandal aufbauschen würde. Privatschulen hatten da ungerechterweise
einen schwereren Stand. Er war sicher, dass so ein Band bei der Presse nicht
das geringste Interesse finden würde, wenn es an einer öffentlichen Schule ans
Licht käme. Es würde vielleicht unter der Hand die Runde machen, ein paar
Schüler würden fliegen, Sitzungen abgehalten werden, aber beim Lokalblatt, dem Avery Crier (dessen Herausgeber, Walter Myers, man
praktisch jede Story ausreden konnte, die für die ortsansässigen Schüler und
ihre Eltern eventuell peinlich gewesen wäre), würde es ebenso wenig ankommen
wie bei der regionalen und überregionalen Presse. Bei den großen Zeitungen,
vermutete Mike, würden sie über eine Geschichte von Sex und Alkohol an einer
öffentlichen Schule, selbst wenn eine Vierzehnjährige darin verwickelt war,
höchstens mit den Schultern zucken. Wenn aber dieselbe Geschichte an einer
exklusiven Privatschule passierte und einem Reporter beim Rutland
Herald oder beim Boston Globe zu Ohren kam,
konnte man darauf wetten, dass der Mann sofort losgeschickt wurde, um
herauszubekommen, was da lief . Und, so sich Kopien
von dem Band auftreiben ließen, um pikantes Anschauungsmaterial
zu liefern . Lag es daran, dass man an Privatschulen höhere moralische
Anforderungen stellte, denen gemäß ein solcher Zwischenfall nicht vorkommen
durfte? Oder lag es daran, dass alle Welt sich freute, wenn die Elite (selbst
wenn zu dieser Elite ein Bauernsohn mit Stipendium gehörte) vom hohen Ross fiel
und sich gründlich blamierte? Vermutlich spielte beides eine Rolle, wobei
Letzteres vielleicht das größere Gewicht hatte.
    Weit beunruhigender als die Gedanken an die Presse war die
Möglichkeit, dass die Polizei sich einschalten würde. Obgleich Mike nichts als
Ekel empfand, wenn er an den Silas und an den Rob dachte, die er eben auf dem
Band gesehen hatte (Jungen, die er bis dahin geachtet und, in Silas’ Fall,
ausgesprochen gern gehabt hatte), fand er die Vorstellung entsetzlich, dass sie
in Handschellen aus dem Schulgebäude abgeführt werden würden. (Legte die
Polizei Jungen unter dem Verdacht der sexuellen Nötigung im Sinn des Gesetzes
des Staates Vermont automatisch Handschellen an?) Die Polizei ,
das waren in diesem Fall entweder Gary Quinney oder Bernie Herrmann. Beiden
würde die Festnahme nicht die geringste Genugtuung bereiten; zumal Gary Silas’
Onkel war. Würden die Jungen dann einige Monate später im ehrwürdigen
Gerichtsgebäude gegenüber der Schule, diesem von arroganter Selbstgerechtigkeit
strotzenden Bau, einem Richter vorgeführt werden? Mikes Stellung würde auf dem
Spiel stehen, und vermutlich würden einige der Lehrer – vielleicht auch alle –,
die an jenem Abend bei dem Tanzfest und im Wohnheim Aufsicht gehabt hatten,
entlassen werden. Es war nicht zu erwarten, dass die Mitglieder des
Schulkuratoriums den Zwischenfall und das damit verbundene rechtliche Tamtam
auf die leichte Schulter nehmen würden. Und die Jungen – würden sie ins
Gefängnis kommen, ins Staatsgefängnis von Vermont in Windsor, wo sie ihrerseits
Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt wären?
    Mike zügelte seine Gedanken. Er durfte sich jetzt nicht in
Spekulationen verlieren. Er musste sich zusammennehmen und schnell handeln.
Drei Jungen drohten ernste Schwierigkeiten, und einem Mädchen … wenn sich die
Sache als ein Fall von sexueller Nötigung erwies, so war der

Weitere Kostenlose Bücher