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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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es sich höchstwahrscheinlich um Artilleriefeuer und Granateinschläge handelte. Er erbot sich, nach oben zu kriechen, um nachzusehen, was los war, und noch ehe irgendjemand etwas sagen konnte, ging er los. Aber er war noch nicht oben angekommen, da bebte die Erde wieder. Eine Bombe musste in unmittelbarer Nähe detoniert sein. Der Junge rutschte zurück in die Höhle, entweder durch die Druckwelle der Explosion oder vor lauter Angst. Atemlos berichtete er, dass er Blitze gesehen habe, denen unmittelbar die Explosionen folgten. Die Schlacht müsse direkt über uns toben, sagte er. Langsam begriffen wir die Bedeutung der Ereignisse. Aber was sollten wir tun? Unten bleiben und riskieren, lebendig begraben zu werden, oder hinauskriechen und Gefahr laufen, von einer Kugel oder einem Schrapnell getroffen zu werden? Und wer konnte uns garantieren, dass wir draußen auf unsere Befreier stießen und nicht auf die im Rückzug befindlichen Deutschen, die nicht zögern würden, uns an Ort und Stelle zu erschießen? Wir beschlossen, im Versteck auszuharren.
    Das Bombardement ging weiter, unterbrochen von kurzen Pausen. Ich suchte mir eine Beschäftigung, um meine Angst etwas zu bezähmen. Ich fing an, die »Einschläge« zwischen einer Explosion und der nächsten zu zählen, und kam fast immer auf die gleiche Zahl. Daraus konnte ich schließen, wann die nächste Explosion erfolgen würde, und mich darauf einstellen. Allmählich gewöhnten wir uns an den Krach, obwohl er uns nach wie vor ängstigte. Doch trotz unserer Angst waren wir glücklich und erleichtert, denn wir wussten, dass unser Schicksal sich wendete.
    Das schwere Bombardement dauerte Stunden und hörte dann ebenso plötzlich auf, wie es angefangen hatte. Wir erwarteten zunächst weitere Explosionen, doch die Stille hielt an. Nach den vielen Detonationen, die noch in unseren Ohren hallten, kam uns die Ruhe unwirklich vor. Dann hörten wir plötzlich merkwürdige Geräusche, die immer lauter wurden.
    Wir vernahmen gedämpftes Sprechen, Schreie, Stöhnen, den Ton einer Trillerpfeife, schwere Tritte von Mensch oder Tier, eilige Schritte, das Geräusch von Gegenständen, die über den Boden gezogen wurden. Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wir sahen nach oben, suchten nach Anhaltspunkten, um herauszufinden, was über uns vor sich ging. Mein Magen krampfte sich zusammen - wie so oft bei nervlichen Zerreißproben.
    Plötzlich wurden wir von einem Lichtstrahl geblendet, der von oben hereinfiel. Jemand hatte die Bretter entfernt. Der Lichtstrahl bewegte sich durch die Höhle und leuchtete in vollkommener Stille unsere Gesichter ab, eines nach dem anderen, als ob jemand zu seiner Verblüffung in den Eingeweiden der Erde Kinder und Erwachsene entdeckte, die in den Lichtstrahl blinzelten. Eine dunkle Gestalt kroch zu uns herunter, und wir wichen erschreckt zurück, als wir sahen, dass er in der einen Hand eine Taschenlampe hielt und in der anderen ein Maschinengewehr, das auf uns gerichtet war. Der Mann trug eine Uniform. Wir drückten uns an die Wand. In der nächsten Sekunde würde er mitten unter uns stehen.
    Der Soldat trat auf Vater zu und richtete seine Waffe auf ihn. Mutter sprang auf wie eine Löwin, die ihre Jungen schützen will, und sagte zu ihm auf Deutsch, da sie überzeugt war, dass er Deutscher war: »Bitte, tun Sie uns nichts, wir sind nur Flüchtlinge, die sich vor den Bomben in Sicherheit gebracht haben.«
    Als er Deutsch hörte, wurde der Soldat wütend und fluchte. Dann sagte er auf Russisch: »Kto vy nemsi?« (»Bist du Deutsche?«), und richtete seine Waffe auf Mutter.
    Vater, der noch etwas Russisch aus seiner Zeit bei der russischen Armee im Ersten Weltkrieg konnte, ging sofort auf den Soldaten zu, packte ihn am Arm, begrüßte ihn auf Russisch und sagte: »My yevrei.« (»Wir sind Juden.«) Und dann fuhr er in gebrochenem Russisch fort: »Wir sind vor den Deutschen geflohen und verstecken uns hier.«
    Wie vom Donner gerührt, senkte der Soldat die Waffe, setzte sich zu uns und fing zu unserem Erstaunen leise zu weinen an.
    Vater zündete die Lampe an, und wir sahen einen jungen Mann, kaum älter als sechzehn. Er wischte sich die Tränen aus den Augen, flüsterte einige zusammenhanglose Worte, die nur Vater verstand, die aber, so kam es uns vor, Hass und Wut ausdrückten. Vater erklärte, es handele sich um Flüche und Verwünschungen gegen die Deutschen, die uns in diese demütigende Lage gebracht hätten. Ihretwegen sei eine Familie mit

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