Weine ruhig
brachten uns jedes Mal Essen und überschütteten uns mit ihrer Aufmerksamkeit. Vincent blieb stundenlang bei uns sitzen, und wir unterhielten uns im Schein der Petroleumlampe. Die Gerüchte über das nahe Ende des Krieges machten uns natürlich glücklich. Die Rote Armee hatte bereits einen großen Teil der Ostslowakei befreit. Vincents Optimismus steckte uns an, und allmählich glaubten wir, dass unsere Rettung nahte.
Aber trotz aller Hoffnungen warnten unsere Freunde uns davor, die Höhle bei Tageslicht zu verlassen. Die Deutschen würden auf ihrem Rückzug nach wie vor nach Juden fahnden. Sie würden sich nicht mehr die Mühe machen, sie zu deportieren, sondern sie an Ort und Stelle erschießen.
Eines Tages boten uns Vincent und Anna an, bei ihnen zu baden. Sie wussten, wie sehr wir unter den schlechten hygienischen Bedingungen in der Höhle litten und dass es unmöglich war, sich mit dem eiskalten Wasser der Quelle gründlich zu waschen. Sie luden uns ein, abends in ihr Haus zu kommen. Wir sollten baden, etwas ruhen und dann mit ihnen zu Abend essen.
Als wir ihr bescheidenes Haus betraten, war schon alles vorbereitet. In einer Ecke des Zimmers stand ein runder großer Bottich mit dampfend heißem Wasser. Meine Schwestern und ich waren die Ersten, die sich ihre schmutzigen Kleider auszogen und in den Bottich stiegen. Wir hatten seit Ewigkeiten nicht mehr warmes Wasser auf unserer Haut gespürt. Wir hielten den Atem an und tauchten unter, und dann wusch Mutter uns die Haare. Welch wonniges Gefühl, als das Wasser aus den Haaren über die Schultern floss! Ich kam mir herrlich unbeschwert vor. Nach uns nahmen Mutter und Vater ihr Bad.
Als wir in die Höhle zurückkehrten, fühlten wir uns wunderbar, wir waren zuversichtlich, dass das Ende des Krieges kurz bevorstand. Bis dahin aber müssten wir in unserem Versteck ausharren.
Am Tag nach unserem Besuch bei den Tokolys wachte ich mitten in der Nacht auf und zitterte am ganzen Körper. Ich hatte einen schweren Kopf, und mir war übel. Ich hustete so laut, dass ich die anderen aufweckte. Ich sagte Mutter, dass mir der Hals und der Kopf wehtäten. Und ich zitterte so sehr, dass meine Zähne aufeinander schlugen, obwohl ich bis zum Kinn mit der Steppdecke zugedeckt war.
Mutter legte mir die Hand auf die Stirn und meinte, ich hätte hohes Fieber, mein Zustand sei sehr ernst. Ich hätte mich wohl nach dem warmen Bad in der Kälte verkühlt, sagte sie besorgt. Erstaunlicherweise war bisher niemand von uns, trotz allem, was wir durchgemacht hatten, krank geworden. Wir hatten noch nicht einmal eine gewöhnliche Erkältung gehabt. Jetzt hatten wir eine neue Sorge. Niemand wusste, was mir fehlte, und natürlich hatten wir keine Medikamente. Die Bedingungen in dem Loch erlaubten es auch nicht, eine Tasse Tee zu kochen.
Den ganzen nächsten Tag lag ich unter der Steppdecke, ich zitterte fürchterlich und hatte hohes Fieber, und immer wieder wurde ich von heftigen Hustenanfällen geplagt. Bisweilen verlor ich sogar das Bewusstsein. Die abgestandene, feuchte Luft in der Höhle war bestimmt nicht gut für mich, aber es kam nicht in Frage, mit mir hinaus in die Kälte zu gehen. Die einzig mögliche Maßnahme bestand darin, ein Stück Stoff mit Schnee zu füllen und auf meine Stirn zu legen, um das Fieber zu senken.
Als die Tokolys am darauffolgenden Sonntag mit unserem wöchentlichen Proviant kamen und mich von Kopf bis Fuß in die Steppdecke eingehüllt sahen und hörten, dass ich seit drei Tagen fieberte, erzählten sie, dass im Dorf eine Lungenentzündung grassiere. Viele seien erkrankt, vor allem Kinder. Einige seien sogar ins Krankenhaus eingeliefert worden und ein zweijähriger Junge gestorben.
Plötzlich sagte Anna etwas, das sehr typisch für diese einfachen Menschen vom Land war. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und rief: »Oh, was machen wir, wenn Aliska stirbt? Wo werden wir sie beerdigen? Wir haben nur einen christlichen Friedhof hier im Dorf, und dort werden wir sie sicher nicht zur Ruhe betten können!«
Das schien ihre größte Sorge zu sein. Sie überlegte nicht, was man gegen die Krankheit tun könnte, sie nahm sie als gottgegeben hin.
Zum Glück verstand Mutter nicht, was Anna sagte, sonst wäre sie sehr erschrocken gewesen. Alle machten sich große Sorgen um mich und hatten gleichzeitig Angst, sich anzustecken. Ich bin sicher, dass sie befürchteten, ich könnte sterben. Mutter und Vater waren so verzweifelt, dass sie sogar überlegten, mich
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