Weinen in der Dunkelheit
Dunkeln ihre Brote zu streichen. Auf einmal ergriff er ihren Arm und zog sie auf das Sofa. Mit einer Hand hielt er ihr den Mund zu, so konnte sie nicht schreien, dabei hörte sie seine flüsternde und keuchende Stimme:
»Komm, du bist alt genug, ich zeige dir jetzt, was Liebe ist.«
Er zerrte ihr brutal die Kleidung vom Körper, riß ihr die Schlüpfer kaputt und vergewaltigte sie. Jeden Morgen vor der Schule mußte sie mit ihrem Stiefvater schlafen.
»Wenn du etwas verrätst«, drohte er, »dann kommst du ins Heim.«
Ihre Mutter mußte es wissen, denn er verhielt sich dabei nicht leise. Die Küche war ein Durchgangszimmer zwischen Wohn- und Schlafzimmer. Die Mutter ließ oft die Schlafzimmertür offen. Gisela sagte einmal:
»Meine Mutter war doch froh, daß er sie in Ruhe ließ.«
Ich sah der Frau hinterher - was für eine Mutter?!
Wir hatten fast alle ein ungewolltes Kind. Heftig diskutierten wir darüber, wie lange wir noch auf die Antibabypille warten müßten und daß es noch keine legalen Abbrüche gab. In einem Punkt waren wir uns einig: so schnell wollten wir kein Kind mehr.
Natürlich, wenn das Kind erst einmal geboren ist, will man es nicht mehr hergeben. Aber die Schwierigkeiten fingen erst danach an.
Ich erhielt von einer Erzieherin Besuch. Sie sagte mir gleich:
»Dein Antrag auf Abbruch der Lehre wurde von deinem Vormund abgelehnt. Du lernst zu Ende, so lange bleibst du im Lehrlingsheim.«
»Und mein Kind?« fragte ich fassungslos. »Was wird mit meinem Sohn?«
»Darum kümmern wir uns schon, mach dir keine Sorgen. Wir werden eine Lösung finden.«
»Mein Kind! Es geht hier um mein Kind und nicht um eine Mathe-Aufgabe!« schrie ich.
Sie schaute mich an und sagte, wie schon viele Erwachsene zuvor:
»Sieh mal, wir wollen doch nur dein Bestes.«
Jetzt hatte ich genug. Völlig außer mir schrie ich sie an:
»Immer geschieht alles nur zu meinem Besten! Warum fragt mich niemand, was ich für das Beste halte? Ihr Scheißerwachsenen kotzt mich an!«
Ich wollte weglaufen, aber sie hielt mich am Arm fest.
»Bitte, laß uns vernünftig darüber reden, schließlich bist du auch schon erwachsen.«
»Dann behandelt mich doch so! Und bestimmt nicht einfach über mein Leben!«
»Na gut, setz dich, wir haben für deinen Sohn einen Heimplatz gefunden, und sogar in Berlin.«
»Heim! Mein Kind in ein Heim, genau wie ich!«
Mein Kopf tat mir plötzlich weh, Tränen tropften auf mein Kleid, wie hypnotisiert starrte ich darauf. Ich konnte nicht mehr klar denken. Wie ein Wasserfall rauschten ihre Worte an meinem Ohr vorbei. Plötzlich war ich allein, sie mußte irgendwann gegangen sein.
Mit dem Wissen, eine schlechte Mutter zu sein, die ihr Kind in ein Heim steckt, holte ich meinen Sohn, setzte mich ans Fenster und schaute auf den See. Zum ersten Mal dachte ich an Selbstmord. Ich wollte nicht mehr leben und kam auf die absonderlichsten Ideen, wie ich mich töten könnte. Auf einmal öffnete er die Augen und lachte mich an. Sein erstes unschuldiges Lächeln gab mir den Mut, weiterzuleben für ihn, für mein Kind.
Abschied
27. Februar 1969. Heute ist hier mein letzter Tag. Viele neue Mädchen sind gekommen, alle mit dicken Bäuchen.
Mein Bett steht abgezogen im kahlen Raum. Das Alpenveilchen habe ich eingehen lassen, das hätte ja doch keiner gegossen.
Mein einziger Koffer steht griffbereit an der Tür, ich sehe mir das Zimmer an, ich will nichts vergessen. Im Haus höre ich Frauenlachen und Kinderweinen. Ein halbes Jahr habe ich hier gewohnt, gelebt und gelernt. Gelernt für mein Leben. Sieben Kinder wurden zur Adoption freigegeben, und noch mehr werden folgen.
Schweren Herzens verabschiede ich mich von den netten Säuglingsschwestern, die mir eine Art Mutterersatz gewesen sind. Dann gehe ich zu den Mädchen, ich sehe ihre Blicke und weiß, ich bin keine mehr von ihnen.
»Tschüs«, rufe ich und: »Macht es gut«; nur nicht sentimental werden. Schnell drehe ich mich zur Tür und gehe, um mein Kind zu holen.
Das Auto vom Bezirksbürgermeister aus Treptow ist wieder da. Ich sehe nur auf mein Kind und weine, es sind die letzten Stunden, die wir zusammen sind.
Zum Glück sitzt die Erzieherin vorn beim Fahrer und unterhält sich mit ihm, so läßt sie mich wenig-stens in Ruhe. Für Leute, die an uns vorbeifahren, sehen wir wie eine glückliche Familie aus. Eltern, die ihre Tochter mit dem Enkel kin d vom Krankenhaus abholen. An den Ampeln sehe ich in neugierige Gesichter. Nur Hochzeitsautos oder Mütter
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