Weinen in der Dunkelheit
mit eingewickelten Kindern werden so rührselig begafft.
Keiner ahnte, was für Insassen dieser pompöse Wagen fuhr. Der Fahrer vom Bürgermeister, eine Erzieherin, eine minderjährige Heimmutter und ein neues Heimkind.
Das Kinderheim
Plötzlich hielt der Wagen, ich schaute hoch und traute meinen Augen nicht. Das Tor mit den schmiedeeisernen Eichhörnchen wurde geöffnet, und ich befand mich in meinem Kinderheim. Hier hatte mein Leben begonnen, sollte es mein Sohn jetzt fortsetzen?
Nein, ich wollte nicht aussteigen, ich weigerte mich.
»Hör mal, es gibt noch keine Heime für Mutter und Kind, es ist doch nicht für immer«, sagte meine Erzieherin. Auf der Säuglingsstation kam uns die leitende Abteilungsschwester mit dem Ausruf entgegen:
»Da kommt ja unser jüngstes Kind!«
Mit strahlendem Gesicht und starken Armen griff sie nach meinem Sohn. Mit aller Kraft preßte ich ihn an mich.
»Es ist mein Kind, ich ziehe ihn allein aus und lege ihn ins Bett.«
Erbost über meinen Widerstand sagte sie zu meiner Erzieherin:
»Na, mit Ihnen möchte ich auch nicht tauschen«, und zu mir:
»Meine Liebe, du wirst dich hier an die Bestimmungen halten, aus hygienischen Gründen dürfen die Zimmer nicht betreten werden. Aber durch die Glasscheibe kannst du dein Kind am Mittwoch und am Sonntag für eine Stunde sehen.«
Noch einmal versuchte ich, mich gegen die Mauer aus Vorschriften und Unmenschlichkeit zu wehren, und sagte entschieden:
»Erstens bin ich nicht Ihre >Liebe<, und zweitens wünsche ich nicht, von Ihnen geduzt zu werden.« Verdattert sagte sie:
»Folgen Sie mir.«
Schweigend gingen wir über den blankgebohnerten Flur an Glaswänden vorbei, hinter denen weiße Gitterbettchen standen. In jedem lag ein Kind, die meisten nuckelten an ihren Däumchen, und die, die stehen konnten, schaukelten monoton von einem Bein auf das andere. In mir drehte sich alles. Es war so schön sauber, steril und keimfrei, auch von Liebe.
Wieder sah ich mich selbst so stehen und schwor mir: Mein Kind wird kein Heimkind!
Vor einer kleinen Glasbox blieb sie stehen, sagte kühl: »Bitte!« und hielt ihre Arme auf. Ich brachte es nicht fertig, ihr mein Kind freiwillig zu geben. Vor Tränen konnte ich nichts mehr sehen, ich fühlte nur diesen kleinen warmen Körper an meiner Brust. Mein Kummer wurde so groß, daß ich es willenlos geschehen ließ, als meine Erzieherin meinen Kleinen aus den Armen nahm und ihn der Kinderschwester übergab. Erst als er in dem fremden kalten Raum lag, weit weg von mir, getrennt durch Glaswände, packte mich die Angst um ihn. Unter Tränen rief ich:
»Darf ich ihn noch einmal drücken?«
»Nein, erst am Mittwoch!«
Wie ich wieder in das Auto kam, weiß ich nicht, aber ich drehte mich noch einmal um. Da schloß sich gerade das Tor.
Index
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 61244
Dieses Buch ist Stefanie, Christoph und Berko sowie allen Kindern und Jugendlichen gewidmet - Kinder vergessen nichts.
Originalausgabe © 1992 by Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach Printed in Germany Umschlaggestaltung: Manfred Peters Titelfoto: Ursula Burkowski
Druck und Verarbeitung: Ebner Ulm ISBN 3-404-61244-2
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