Weinland & Stahl
nachträglich in ihre Züge gestohlen...
"Und doch muss sie es getan haben", sagte die Ehrwürdige Mutter leise. "Sie muss sich mit einem Mann eingelassen und ihr Gelübde aufs Verwerflichste gebrochen haben..."
Die Oberin hatte beim Sprechen Rebecca angesehen, als wollte sie mit ihrem bohrenden Blick in Tiefen dringen, in denen zu suchen die junge Schwester sich selbst nicht erlaubte. Doch Rebecca hielt dem Blick stand. Sie hatte nichts zu verbergen. Nicht in dieser Hinsicht.
Deshalb, weil sie beide einander ansahen, fühlten sie sich von den Worten förmlich herumgerissen wie von starken Händen, die ihre Schultern packten.
"Mich hat nie ein Mann berührt. Lieber stürbe ich, ehe ich das zuließe."
Mariah lag mit offenen Augen im Bett, und etwas in ihrer Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass ihre Worte aus tiefstem Herzen kamen.
Was allein nicht zu dem Eindruck passen wollte, war dieses feine Lächeln, das einer Nonne doch auf ewig verwehrt bleiben sollte.
Rebecca glaubte es selbst in dem Moment noch zu sehen, als Mariah wie von Sinnen zu brüllen begann.
Weil ihr Bauch sich von neuem wölbte.
Weil herauswollte, was sich darin verbarg...
Die Tage vergingen. Und alles nahm seinen gewohnten Lauf.
Diesen Eindruck musste zumindest haben, wer sich mit einem Blick aufs Vordergründige begnügte.
Im Orden der Heiligen Catherine ging man weiter den Dingen nach, die immer getan wurden. Die Schwestern versammelten sich um fünf Uhr in der Frühe zur Morgenandacht, schlossen sich nach dem gemeinsamen Frühstück zu verschiedenen Gruppen zusammen, in denen Nähereien oder andere Handarbeiten gefertigt wurden, mit deren Verkauf der Konvent ein bisschen Geld erwirtschaftete. Man beging die Gottesdienste in gewohnter Weise, sang und betete miteinander.
Und dennoch war nichts mehr wie vorher.
Wer nur ein kleines bisschen
hinter
die Dinge sah, dem musste es unweigerlich auffallen.
Rebecca kam es vor, als mühten sie sich allesamt, die neue Wirklichkeit hinter Bildern der alten zu verstecken. Doch diese Bilder waren dünn und rissig, und meist genügte ein einziger längerer Blick, um sie zerfallen zu lassen.
Der Art und Weise, wie jede einzelne der Schwestern versuchte, so zu tun, als wäre nichts geschehen, haftete bald etwas Zwanghaftes an. Und bald agierten sie alle wie aufwendig konstruierte Marionetten, deren Fäden sie selbst zogen – zu verkrampft und unsicher jedoch, um Bewegungen fließend oder Gesten natürlich wirken zu lassen.
Hätte jemand die Nonnen bei ihrem täglichen Tun beobachtet, so würde er festgestellt haben, dass nur eine unter ihnen war, die wirklich sie selbst zu sein schien. Ihre Bewegungen waren unverkrampft, ihre Züge frei von aller Anspannung.
Dennoch hatte sich auch Mariah verändert.
Nicht nur, weil sich unter ihrer Robe ein rundes Bäuchlein wölbte, das der weitfallende schwarze Stoff kaum kaschieren konnte.
Mariah war nie sonderlich gesprächig oder gar erzählfreudig gewesen. Doch jetzt schienen sich ihre Lippen von Tag zu Tag noch ein wenig fester zu verschließen. Sie begann von sich aus keine Unterhaltung mehr, und nach einer Weile antwortete sie auch kaum noch, wenn sie angesprochen wurde.
Trotzdem wirkte die junge Nonne nicht wirklich verschlossen. Im Gegenteil schien von ihr etwas auszugehen, das alles, was davon berührt wurde, ein kleines bisschen strahlender scheinen ließ. Etwas aber auch, das die anderen Schwestern unweigerlich zurückweichen ließ. Als fürchteten sie, darin könnte sich der Keim verbergen, der schuld war an dem, was Mariah widerfahren war.
So ungewöhnlich ihre Schwangerschaft begonnen hatte, so verlief sie auch im weiteren.
Die Rundung ihres Bauches wuchs nicht unmerklich und stetig, sondern wie zu Anfang in Schüben. Jeder einzelne schien, wenn man ihn an Mariahs Schreien maß, schmerzhaft genug, sie umzubringen. Doch stets erschien hernach wieder jenes stille Lächeln nicht einfach nur auf ihren Lippen, sondern auf ihrem ganzen Gesicht.
Ein Lächeln, in dem etwas Mächtiges war, das Mariah alle Pein vergessen ließ. Und dessen Anblick offenbar genügte, jeden daran zu hindern,
wirklich
über den seltsamen Verlauf dieser Schwangerschaft nachzudenken, sondern sie veranlasste, es hinzunehmen – wenn auch mit Unbehagen.
Und so wurde Mariah von ihren Schwestern eigentlich nicht ausgeschlossen, vielmehr war sie selbst es, die sich zurückzog, ohne jedoch die bloße Nähe zu den anderen aufzugeben. Einzig zu Rebecca hielt sie noch
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