Weinland & Stahl
Leere.
Der Orkan brachte etwas mit. Oder weckte etwas, das schon dagewesen war und nur einer solchen Berührung bedurft hatte, um sich vollends zu erheben.
Etwas, unter dessen
bloßer Präsenz
Schwester Mariah zu zittern begann. Nicht in der Art, wie man zittert, wenn einem kalt ist – sondern wie von einem fürchterlichen Fieber gepackt und durchgeschüttelt!
Mariah spürte, wie ihre Körper sich wie in spasmischen Krämpfen zuckend am Boden wand. Und doch spürte sie keinen Schmerz dabei, als ihre Glieder und ihr Kopf wieder und wieder gegen den nassen Stein schlugen.
Und das war das Schlimmste daran: gefangen zu sein im eigenen Leib, den
etwas anderes
an sich gerissen hatte und mit dem es tat und umsprang, was und wie es wollte, und von dem Mariah nicht einmal den Anflug einer Ahnung hatte,
was
es war.
Sie war dazu verflucht zu denken und zu sehen und durfte nichts fühlen.
Mariah sah, wie die Haut über ihren Fingerknöcheln aufplatzte, wie Blut hervor tropfte, als sie wieder und wieder gegen den rissigen Steinboden geschlagen wurden – und es tat kein bisschen weh!
Sie wollte weinen, wenn schon nicht vor Schmerz, so doch wenigstens aus Verzweiflung. Aber das Fremde in ihr, das sich mit Kälte tarnte, ließ ihr nicht einmal ihre Tränen.
Mariah wünschte sich ohnmächtig zu werden. Oder zumindest, dass sie aufhören könnte zu denken. Denn die Gedanken, die sie jetzt durchrasten, übertrafen beinahe noch, was bereits mit ihr geschah.
Vielleicht
, wisperte es in ihr,
ist dies die Strafe für dein frevelhaftes Tun. Gottes Zorn trifft dich, weil ihr das Gelübde gebrochen habt... Und vielleicht ist diese Strafe noch viel zu milde für euer Vergehen...
Nein!
wollte Mariah rufen.
Nein, Gott straft seine Kinder nicht auf solche Art!
Niemals würde er ihnen
so etwas
antun!
Doch kein Wort entrang sich ihrer Kehle. Und selbst in ihren Gedanken schien Mariah die Rechtfertigung ohne jede Kraft.
"Mein Gott, Mariah! Was ist los mit dir?"
Sie hörte Rebeccas entsetzten Ruf, doch sie war nicht in der Lage, irgendetwas zu erwidern. Ihre Lippen waren wie zugefroren, entließen nicht einmal Schreie. Und Mariah war fast sicher, dass auch in ihren Augen keine Spur ihres eigenen Leids zu finden war. Etwas wie Frost musste sich darüber gelegt haben, und nichts würde diesen eisigen Mantel durchdringen.
Rebecca war längst aufgesprungen. Nackt stand sie da, die Hände gegen die Wangen gepresst, ratlos, hilflos, gelähmt vor Schrecken.
Es sah aus, als würde Mariah sich gegen einen unsichtbaren Peiniger wehren – und zugleich doch ganz anders. Als wäre der Andere längst in ihr – und viel mehr und tiefer, als es ein Mensch je sein konnte!
Dieser Anblick war schon furchtbar genug.
Aber als noch grauenhafter empfand Rebecca die Lautlosigkeit, in der alles vonstattenging. Mariah gab keinen Ton von sich. Das Wälzen ihres Körpers, das Klatschen, mit dem ihre Arme und Beine wieder und wieder gegen den Fels schlugen, und das monotone Plätschern des Wassers, das nach wie vor aus den Brausen lief, waren die einzigen Laute im Raum. Abgesehen vom rasenden Trommeln ihres eigenen Herzens, das, wie Rebecca glaubte, im ganzen Kloster zu hören sein musste.
Vielleicht war es dieser Gedanke, der sie aus ihrer Erstarrung riss.
Einen Augenblick zögerte Rebecca noch, sich umzuwenden und loszulaufen, um Hilfe zu holen.
Es war genau der Augenblick, in dem sie feststellen musste, dass
es
– was immer
es
auch sein mochte – erst begonnen hatte.
Dass eine Steigerung des Schreckens noch möglich war.
Und
es
hatte noch nicht aufgehört, als Schwester Rebecca dann endlich doch die Kraft fand, davonzurennen.
Nass und nackt und fast blindlings.
Sie floh regelrecht aus den Gewölben unter dem Kloster.
Und ihre Flucht endete erst in den Armen der Ehrwürdigen Mutter.
Wie tot hatte Schwester Mariah auf dem Boden des Duschraumes gelegen. Dampfschwaden hatten ihren Körper wie kleine Geister umtanzt, als wollten sie die Blöße der jungen Nonne verbergen. Oder als wären sie der Odem des Lebens, der aus ihr gewichen war und sich noch nicht ganz dazu hatte entscheiden können, vollends von ihr zu lassen.
Sekundenlang waren die Ehrwürdige Mutter und die Handvoll weiterer Schwestern, die Rebecca hier herunter geführt hatte, wie vor eine unsichtbare Mauer gelaufen unter der Tür stehengeblieben.
Wenn auch wohl weniger in Anbetracht der Tatsache, dass eine der ihren leblos in der Duschkammer lag, als vielmehr wegen...
...
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