Weinland & Stahl
dem, was mit Mariah geschehen war.
Wie sie sich
verändert
hatte.
Rebecca hatte hastig gemurmelte Stoßgebete vernommen und erst dann bemerkt, dass auch über ihre Lippen Worte gesprudelt waren, für jeden anderen in ihrer Geschwindigkeit vielleicht unverständlich, für sie selbst jedoch von geradezu quälender Deutlichkeit. Sie hatte um Vergebung gebettelt, um Rücknahme der Strafe, ohne zu wissen, dass sie ganz ähnlichen Gedankengängen gefolgt war wie zuvor Mariah.
Die Schwestern hatten sich bekreuzigt, und schließlich hatten sie, immer noch zögernd und wie gegen Widerstand ankämpfend, den Raum betreten. Fassungslosigkeit hatte die Gesichter der schwarzgewandeten Frauen gezeichnet, als sie sich im Kreis um die Liegende aufgestellt hatten –
– und genauso sahen sie auch jetzt noch drein, da sie um das Bett im Krankenzimmer versammelt standen, auf das sie Schwester Maria inzwischen gebettet hatten.
Die Ehrwürdige Mutter, eine Frau, deren Alter schwer zu schätzen war und das ebenso gut dicht unterhalb der Fünfzig liegen konnte wie auch jenseits der Siebzig, war in medizinischen Dingen ein wenig bewandert und hatte die Ohnmächtige untersucht, so gut es ihr möglich war. Wenn auch mit schier steinernem Gesicht, das Zeugnis eines Lebens voller Enthaltsamkeit war, und auch nur deshalb, weil es ihre Christenpflicht war.
Den Ekel, den sie vor Schwester Mariah empfand, verbarg sie zwar hinter Ausdruckslosigkeit; dennoch trat er so deutlich zutage, als stünde er ihr buchstäblich auf die Stirn geschrieben.
Mit knappen Bewegungen zupfte sie das Laken zurecht, unter dem Schwester Mariah, noch immer nackt, lag. Die Ungeheuerlichkeit, die mit ihr vorgegangen war, ließ sich damit jedoch nicht zudecken. Im Gegenteil wurde sie fast noch unübersehbarer.
"Was ist mit ihr?" wollte eine der bislang entsetzt schweigenden Schwestern wissen. Es war Sarah, wie Rebecca nebenher registrierte, denn ihr Blick hing noch immer wie gebannt auf Mariah. Sie konnte einfach nicht wegsehen. Vielleicht hoffte sie, der unmögliche Anblick würde verschwinden, wenn sie nur lange und intensiv genug hinstarrte.
"Gesundheitlich scheint ihr nichts zu fehlen", erwiderte die Mutter Oberin. Ihre Stimme klang spröde.
"Sollten wir nicht einen Arzt rufen?" wandte Rebecca ein, ohne den Blick zu wenden.
"Er könnte nichts anderes feststellen als ich", sagte die Ehrwürdige Mutter.
Eine Sekunde lang hatte auch sie Mühe, den Blick von Mariah zu lösen, und als es ihr schließlich gelang, entrang sich ihren Lippen ein hörbarer Laut der Erleichterung.
"Geht jetzt, Schwestern. Lasst uns allein", ordnete sie an und vollführte mit den schmalen Händen kleine Bewegungen, als wollte sie Hühner von einem Hof scheuchen.
Die Nonnen gehorchten nur zögernd, wenn auch nicht widerwillig. Vielmehr so, als hätten sie Mühe, ihren Beinen einen solch einfachen Befehl zu geben wie
Bringt mich hier raus!
, weil andere Gedanken in ihren Köpfen alles beherrschten.
Auch Schwester Rebecca brachte es endlich fertig, sich abzuwenden, nicht länger das blasse Gesicht Mariahs anzusehen, um das sich wie ein dunkler Glorienschein das nasse Haar gebreitet hatte.
"Du bleibst, Schwester Rebecca. Ich habe noch mit dir zu reden."
Die Stimme der Ehrwürdigen Mutter hielt sie zurück, ließ sie in der Bewegung erstarren, so dass sie in einer fast grotesken Haltung verharrte.
Den anderen Nonnen rief die Oberin noch nach: "Und ihr verliert draußen kein Wort über –" , sie zeigte auf Mariah wie auf einen x-beliebigen Gegenstand, "–
das
hier."
An der Tür wandte sich jede Schwester noch einmal um, bekreuzigte sich gesenkten Blickes, und schließlich waren Schwester Rebecca und die Ehrwürdige Mutter allein. Allein mit Mariah – und dem, was ihr widerfahren war.
Lange Zeit herrschte Stille in dem Krankenraum, der beinahe ebenso schlicht eingerichtet war wie die Schlafzellen der Nonnen. Im Grunde unterschied er sich nur darin, dass dieses Bett ein wenig bequemer sein mochte als die Pritschen in den Kammern, und durch den weißen Wandschrank mit jeweils einem roten Kreuz auf den Türhälften.
Das Schweigen gewann in endlosen Minuten eine regelrecht bedrückende Qualität. Rebecca hatte den Eindruck, die Luft würde so schwer, das sie kaum noch zu atmen war. Das Blut rauschte Sturzbächen gleich durch ihre Adern, und ihr Puls dröhnte wie dumpfer Trommelschlag in ihren Ohren.
"Möchtest du mir etwas berichten?"
Endlich –
endlich!
– brach die Ehrwürdige
Weitere Kostenlose Bücher