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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Ehrfurcht erweckt, und er starb mit
gebrochenem Genick auf der Rennbahn von Sandown, als ich elf war und zuschaute.
    Er war damals siebenundvierzig gewesen und blieb
natürlich der Rennwelt mit diesem Alter in Erinnerung, als ein großer,
aufrechter, lachender, verwegener Mann, der mir nach wie vor unberührt schien
von den Sorgen der Welt. Obwohl seine Statur alles andere als ideal war für
einen Rennreiter, war er entschlossen in die Fußstapfen seines Vaters getreten,
meines Großvaters – eines fernen Giganten, der einmal den zweiten Platz im
Grand National erritt, bevor er sich im 1. Weltkrieg mit militärischem Ruhm
bedeckte. Das Viktoriakreuz meines Großvaters lag in dem Schaukästchen, das ich
geerbt hatte, neben dem Kriegsverdienstorden meines Vaters. Ihren Biß, ihr
Flair, ihre Waghalsigkeit hatten sie nicht weitergegeben.
    »Ob du wohl wie dein Vater wirst?« hatte man mich
unzählige Male freundlich und erwartungsvoll in meiner Kindheit gefragt, und
nur langsam war es allen, auch mir selber, aufgegangen, daß ich nicht so werden
würde. Ich lernte reiten, ohne mich auszuzeichnen. Ich ging nach Wellington,
der Schule für Soldatensöhne, aber nicht weiter nach Sandhurst, um selbst die
Uniform anzulegen. Nur zu oft sagte meine Mutter: »Mach dir nichts draus,
Liebling«, wenn sie geduldig so manche Enttäuschung hinnahm; und ich bekam
starke Minderwertigkeitsgefühle, die wider alle Vernunft fortdauerten.
    Erst mit Emma waren sie bedeutungslos geworden,
aber jetzt, wo sie tot war, tauchten sie leise, aber hartnäckig wieder auf.
Eine vermeintlich abgelegte Empfindung, die schleichend in ungeschützte Winkel
vordrang. Scheußlich.
    Jimmy, der Sekretär, half keineswegs. Er kam, die
Hände in den Taschen, aus dem Haus geschlendert und sah zu, wie ich drei
verzinkte Waschwannen aus dem Heck meines Lieferwagens hievte.
    »Wofür sind die?« fragte er. Wahrscheinlich war es
nicht zu ändern, daß er einen von oben runter ansah, da er über einsneunzig
groß war. Nur paßte auch sein Ton dazu.
    »Eis«, sagte ich.
    Er sagte: »Oh«, oder vielmehr »O-uh«, mit einem Doppelvokal.
    Ich trug die Wannen in das Zelt, das auf einer
Seite eine Reihe von Klapptischen mit Tafeltüchern enthielt. Um den Fuß der
beiden Hauptstützmasten blühten Gruppen eingetopfter Chrysanthemen. Der Rasen
war mit strapazierfähigen braunen Matten bedeckt, und rotgoldene Girlanden
schmückten, gleichmäßig plaziert, die fleckiggraue Zeltwand. In einer hinteren
Ecke stand ein Heizlüfter einsatzbereit. Aber so kalt war es nicht. Das Zelt
wirkte beinahe festlich. Beinahe. Jack und Flora verschwendeten kein gutes Geld
für Nichtigkeiten – und wer hätte es ihnen verdenken können?
    Es lag kein Zittern in der Luft. Keine Warnung. Überhaupt
kein Vorbote des Grauens, das sich hier bald ereignen sollte. Alles war ruhig
und friedlich, voll freundlicher Erwartung. Hinterher erinnerte ich mich daran
besonders.
    Jimmy sah weiter zu, während ich eine Kiste
Champagner hereinkarrte. Ich packte die Flaschen aus und stellte sie aufrecht
in eine der Wannen, die jetzt an der Zeltwand hinter den Tischen am Boden
standen. Das gehörte eigentlich nicht mehr zu meiner Aufgabe, doch irgendwie
fiel es mir leicht, für Jack Hawthorn mehr zu tun, als verlangt wurde.
    Ich arbeitete in Hemdsärmeln, gewärmt von meinem
hellblauen ärmellosen Pullover mit V-Ausschnitt (typische Turfkleidung); die
Jacke wartete im Lieferwagen auf meine Verwandlung zum geladenen Gast. Jimmy
wirkte dezent-elegant, in einem rehbraunen Rollkragensweater unter marineblauem
Blazer; blanke Messingknöpfe, keine Wappen, keine Preziosen. Das war das
Unangenehme. Wäre er protzig gewesen, hätte ich ihn vielleicht verachten
können, anstatt argwöhnen zu müssen, daß es sich umgekehrt verhielt.
    Ich holte eine zweite Kiste Champagner und begann,
sie auszupacken. Jimmy beugte sich von ganz oben herunter, ergriff eine der
Flaschen und starrte auf das Stanniol und das Etikett, als sähe er so etwas zum
ersten Mal.
    »Was ist das für ein Zeug?« sagte er. »Noch nie
gehört.«
    »Echter Champagner«, sagte ich milde. »Aus Epernay.«
    »Anscheinend.«
    »Floras Wahl«, erläuterte ich.
    Er sagte einsichtig »O-uh« und stellte die Flasche
zurück. Ich holte Eiswürfel in großen schwarzen Plastikbeuteln, und schüttete
sie über und um die Flaschen herum.
    »Haben Sie auch Scotch mit?« fragte er.
    »Vorne im Wagen.«
    Er schlenderte davon, um nachzuschauen, und kam mit
einer

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