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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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Herbstblüten nieder.
Er drang unerbittlich auf den Rasen vor.
    Ich hechtete zum Zelteingang und schrie eine
Warnung, die in dem Lärm niemand hörte und die ohnehin viel zu spät kam.
    Einen winzigen, erstarrten Augenblick lang sah ich
die Gesellschaft noch unversehrt, eine dichtgedrängte Ansammlung von Menschen,
die lachten, tranken und nichts ahnten.
    Dann drosch der Pferdetransporter in die Zeltbahn
und veränderte vieles endgültig.

3
     
    Totale allgemeine Fassungslosigkeit bewirkte
etwa fünf Sekunden Stille, dann schrie jemand und schrie immer weiter, ein
hysterisch schriller Kommentar zu soviel Grauen.
    Der Pferdetransporter hatte die Seitenwand des
Zeltes niedergewalzt, hatte Leute unter sich begraben und war gegen einen der
großen Masten geprallt, der unter dem Gewicht zerbarst. Die ganze Zeltseite
unmittelbar vor mir war eingestürzt, so daß ich mich an ihrem Rand befand, die
Trümmer zu meinen Füßen.
    Wo ich die Gäste gesehen hatte, sah ich mit blankem
Entsetzen jetzt Flächen schwerer grauer Zeltbahn mit zahllosen Ausbuchtungen darunter,
die sich verzweifelt bewegten.
    Der Pferdetransporter stand obszön in der Mitte,
gewaltig, dunkelgrün, unbeschädigt, unpersönlich und erschreckend. Niemand
schien hinter dem Steuer zu sitzen, und um die Fahrkabine zu erreichen, hätte
man über die verhüllten Knäuel der Lebenden und Toten steigen müssen.
    Hinter dem Pferdetransporter, am anderen Ende des
Zeltes, in dem noch stehenden Teil, kämpften sich Leute durch die Überreste des
Eingangs und durch Risse in der Wandung nach draußen. Einer nach dem anderen
taumelten und stolperten sie ins Freie, wie Figuren auf einem Fries.
    Mir wurde schwach bewußt, daß ich noch die Kiste
Champagner in den Händen hielt. Ich setzte sie ab, wo ich stand, drehte mich um
und lief schleunigst nach dem Telefon im Haus.
    So still dort drinnen. So vollkommen normal. Meine
Hände zitterten, als ich den Hörer ergriff.
    Polizei und Krankenwagen zu Jack Hawthorns
Rennstall. Einen Arzt. Und Hebezeug. Kommt, sagten sie. Kommt alles. Sofort.
    Ich ging wieder hinaus, wo ich den gehetzten Blicken
anderer begegnete, die von dem gleichen Gedanken erfüllt waren.
    »Sie sind unterwegs«, sagte ich. »Unterwegs.«
    Alle zitterten, nicht nur ich selbst.
    Das Schreien hatte aufgehört, aber viele Leute
riefen jetzt – Männer auf der Suche nach ihren Frauen, Frauen nach ihren
Männern, eine Mutter nach ihrem Sohn. Alle Gesichter waren bleich, alle Münder
standen offen, alle schnappten nach Luft. Man hatte begonnen, die Zeltbahnen
mit Taschenmessern aufzuschlitzen um die darunter Verschütteten zu befreien.
Eine Frau schnitt methodisch mit einer kleinen Schere die Verschnürung eines
Teils der Seitenwand auf, während Tränen ihr über das Gesicht rollten. Die
Bemühungen wirkten so kümmerlich, die Aufgabe so ungeheuer.
    Flora, Jack und Jimmy, das wußte ich, waren in dem
Abschnitt des Zeltes gewesen, der eingestürzt war.
    Ein Pferd wieherte in der Nähe und trat gegen das
Holz, und mit neuerlichem Schock begriff ich, daß der Lärm aus dem
Pferdetransporter kam. Es war ein Pferd drin. Da drin.
    Steifbeinig ging ich zu dem noch stehenden Teil des
Zeltes hinüber und betrat es durch einen Schlitz, durch den andere
herausgekommen waren. Der zweite Mast stand aufrecht, rings um seinen Fuß die
leuchtenden Topfchrysanthemen. Viele Gläser und Glasscherben lagen verstreut,
und einige Leute versuchten, die Falten des schweren, eingestürzten Daches
anzuheben, damit die Verschütteten darunter hervorkriechen konnten.
    »Wir sollten vielleicht einen Tunnel bauen«, sagte
ich zu einem Mann. Er nickte verstehend, und indem wir nur einen Abschnitt
anhoben, durch diesen aber gemeinsam vordrangen, bahnten er und ich und mehrere
andere einen breiten mannshohen Gang in die zusammengestürzte Hälfte. So
konnten etwa dreißig Personen, die sich mühsam und benommen hochrappelten, nach
draußen gelangen. Viele bluteten aus Schnittwunden im Gesicht und an den
Händen. Nur wenige wußten, was passiert war. Zwei Kinder waren dabei.
    Eine der am weitesten entfernten Gestalten, die wir
erreichten, war Flora. Ich sah die rote Wolle ihres Kleides unter lose
herabhängender Zeltbahn am Boden und bückte mich, um ihr zu helfen – sie lag
halb bewußtlos, dem Ersticken nahe, mit dem Gesicht zum Mattenbelag.
    Ich zog sie heraus und trug sie auf die freie
Seite, gab sie draußen an jemand weiter und ging wieder zurück.
    Die Tunnelidee erwies sich als

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