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Weinprobe

Weinprobe

Titel: Weinprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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spricht? Das ist Larry
Trent.«
    »Mit dem nicht vorhandenen Laphroaig? «
    Jimmy nickte, legte unentschlossen die Stirn in
Falten und wanderte in eine völlig andere Richtung davon. Sekundenlang
beobachtete ich den Mann bei Flora, einen Dunkelhaarigen mittleren Alters mit
Schnurrbart, einer der wenigen Leute, die einen Anzug trugen. In seinem Fall
war es ein marineblauer Nadelstreifenanzug mit zugeknöpftem Jackett, aus dessen
Brusttasche der Saum eines Seidentuchs lugte. Die Gesellschaft blieb in Bewegung,
und ich verlor ihn aus den Augen. Dafür kam ich wieder einmal mit einer Reihe
von flüchtigen Bekannten ins Gespräch. Die Sorte von Leuten, die man einmal im
Jahr oder seltener sieht, mit denen man anknüpft, wo man aufgehört hat, als
wäre zwischendurch keinerlei Zeit vergangen. Einer von diesen war es, der
unausweichlich, in der besten Absicht, sagte: »Und wie geht’s Emma? Was macht
Ihre hübsche Frau?«
    Ich werde mich nie daran gewöhnen, dachte ich – an
diesen Dorn, der in den bloßen Nerv gestoßen wird, diesen regelrecht physischen
Schmerz. Emma … du lieber Gott.
    »Sie ist tot«, sagte ich, leicht den Kopf
schüttelnd, um es ihm schonend beizubringen, ihm aus der Verlegenheit zu
helfen. Ich hatte es schon oft so sagen müssen – viel zu oft. Inzwischen konnte
ich es, ohne daß es Unbehagen hervorrief. Die merkwürdige, bittere Kunst der
Verwitweten: Anderen ersparte man Kummer, den eigenen verbarg man.
    »Das tut mir leid«, sagte er und meinte es, wie
alle, in diesem Moment auch völlig ernst. »Ich hatte keine Ahnung. Überhaupt
nicht. Ehm … wann …?«
    »Vor sechs Monaten«, sagte ich.
    »Oh.« Er paßte sein Mitgefühl der seitdem
vergangenen Zeit an. »Es tut mir aufrichtig leid.«
    Ich nickte. Er seufzte. Das Leben ging weiter.
Transaktion vorüber, bis zum nächsten Mal. Es gab immer ein nächstes Mal. Doch
wenigstens hatte er nicht gefragt: »Wie …?« und ich hatte es ihm nicht
erzählen müssen, hatte nicht an die Schmerzen und das Koma denken müssen, und
an das ungeborene Kind, das mit ihr gestorben war.
    So manche von Jacks Gästen waren überdies auch
meine Kunden, so daß ich bei diesem Rendezvous der Rennwelt bald ebensoviel
über Wein sprach wie über Pferde, und während eine ernsthafte ältere Dame mich
gerade zum Thema »Côtes du Rhône gegen Côte de Nuits« verhörte, sah ich Jimmy
schließlich doch mit Larry Trent reden. Er entdeckte mich ebenfalls und winkte
mir, herüberzukommen, doch die ernsthafte Dame wollte den besseren Wein gleich
kistenweise kaufen, wenn sie erst überzeugt war, und so vertröstete ich Jimmy
in der Gebärdensprache auf später, worauf er verstehend die Hand schwenkte.
    Serviererinnen, die Tabletts mit Appetithappen und
aufgespießten Würstchen trugen, fädelten sich durch das Gewühl, und ich
schätzte, daß doch weit mehr als hundert Kehlen erschienen waren und daß bei
der zunehmenden Hochstimmung die ersten achtundvierzig Flaschen jede Minute
leer sein würden. Ich war schon unterwegs zum Dienstboteneingang des Zeltes in
Hausnähe, als Jack selbst über mich herfiel und mich am Ärmel packte.
    »Wir brauchen noch Champagner, und die Kellnerinnen
sagen, Ihr Wagen sei abgeschlossen.« Er redete hastig. »Die Party läuft, meinen
Sie nicht?«
    »Doch, sehr gut.«
    »Wunderbar. Fein. Also, ich überlaß das Ihnen.« Er
wandte sich ab und klopfte begrüßend auf ein paar Schultern. Die Gastgeberrolle
gefiel ihm.
    Ich warf einen Blick auf die Wannen – nur zwei
Flaschen noch in einem Meer von schmelzendem Eis –, ging raus zum Lieferwagen
und kramte in meiner Tasche nach den Schlüsseln. Einen Moment schaute ich den
Hang hinauf, wo die ganzen Autos standen, der Landrover, der Pferdetransporter,
der Mercedes des Scheichs. Keine Lücken in der Reihe: noch niemand war
heimgefahren. Ein Kind war da oben, es spielte mit einem Hund.
    Ich schloß die Hecktür meines Lieferwagens auf und
beugte mich vor, um die drei Reservekisten herauszuziehen, die leidlich kühl
unter weiteren schwarzen Säcken mit Eis lagerten. Ich warf einen der Säcke in
das Gras und ergriff die erste Kiste.
    Eine Bewegung am Rand meines Gesichtsfeldes veranlaßte
mich, den Kopf zu drehen, und im Bruchteil einer Sekunde wurde dieser
Durchschnittstag zum Alptraum.
    Der Pferdetransporter rollte den Hang hinab.
    Immer schneller, direkt auf das Festzelt zu.
    Nur noch Meter trennten ihn von der Rosenhecke. Er
brach durch die zarten Pflanzen und mähte die letzten rosa

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