Weinrache
wo Arthur steckt?«, folgte auch sogleich die Frage Nummer zwei.
An deren Beantwortung schien Diane tatsächlich gelegen. Ihre schwarzen Mandelaugen blickten erwartungsvoll. Diese exotischen Augen und das mädchenhafte Gehabe, das Diane mit Anfang 30 zur Perfektion ausgefeilt hatte, gefiel nicht nur Moritz. Auch Bruno war Diane überaus zugetan, ohne damit auch nur eine Spur Ärger aus Fischer herauszukitzeln. In Bruno sah Fischer, der mit seiner Eifersucht gewöhnlich nicht hinter dem Berg hielt, keine Konkurrenz. Auch vor Arthur musste er sich nicht vorsehen. Keinesfalls aus mangelnder Attraktivität, sondern weil Arthur sich von einer Kindfrau wie Diane nicht um den Finger wickeln ließ. Das Mädchengetue gehe ihm gehörig auf die Nerven, behauptete er standhaft.
Diane kräuselte missmutig die Stupsnase. »Weißt du, wo Arthur steckt? Wir hatten uns um 11 Uhr im Laden verabredet. Aber er war nicht da.«
Sie wolle sich einige Bildbände ausleihen, die sie auf innovative Gestaltungsideen bringen sollten, fügte sie mit bedeutungsvoller Miene hinzu.
Norma häufelte einen Schlag dampfender Kartoffeln auf einen Teller. »Vielleicht führt er ein innovatives Kundengespräch.«
Diane musterte die Kartoffeln abschätzig. »Trotzdem könnte er sein Handy anstellen! Das steht sonst immer auf Empfang. Seit gestern Nacht kann ich ihn nicht erreichen.«
Die Bücher schienen ihr sehr am Herzen zu liegen!
Norma versicherte, keine Ahnung zu haben, wo Arthur sich herumtreiben mochte. Sie hatte nicht die Absicht, von dem Streit zu erzählen. Diane wartete unschlüssig ab und schaute zum Kurierstand hinüber, hinter dessen Tresen ihr Mann Moritz eine Weinflasche nach der anderen entkorkte und vor guter Laune zu bersten schien, während Bruno sich untätig in eine Ecke drückte und still vor sich hin schwitzte.
»Bruno mutiert zielstrebig zum fettsüchtigen Grizzly«, murmelte Diane ganz und gar unmädchenhaft. »Wer ist der Mann im Anzug? Sollte man den kennen?«
Der Anzugträger war kurz nach Moritz Fischer eingetroffen. Norma wusste von Gabi, um wen es sich handelte. Sie griff nach einem Putztuch und wischte einen Spritzer Soße vom Tresen. »Das ist ein Vertreter der Stadt Görlitz. Du weißt sicher, dass Görlitz eine Wiesbadener Partnerstadt ist? Die Stadt will bei uns für ihr Altstadtfest werben.«
»Ach so«, murmelte Diane, bereits von der eigenen Frage gelangweilt, und hob die Hand, um mit den Fingerspitzen Moritz zu winken, der seine Frau entdeckt hatte und ihr eine überschwängliche Kusshand zuwarf.
Affig, dachte Norma. Alle beide.
Die jüngere der Studentinnen, der die Unternehmungslust aus den Augen blitzte, mischte sich in das Gespräch. »Ich kenne Görlitz und das Altstadtfest! Das ist ein tolles Event! Alle verkleiden sich mittelalterlich. Irre Kostüme und so! Bringt jede Menge Spaß. Hört ihr das?«
In das Stimmengewirr rings herum, in das Klappern der Teller und Klirren der Gläser mischten sich ein schneller Trommelschlag und die Rufe einer kräftigen Männerstimme. Norma reckte den Hals und spähte zur Marktstraße hinüber. Vom alten Rathaus her näherte sich eine bunte Gesellschaft. Vorneweg schritt ein Mann in grüner Robe, eine Erscheinung, die in Norma die Assoziation ›stattlich‹ weckte. Er bat die Zuschauer mit volltönender Stimme, der Görlitzer Bürgerschar Auge und Ohr zu schenken. Wer das Mittelalter erleben wollte, sollte zum Altstadtfest nach Görlitz reisen, forderte er die Umstehenden auf. Der Junge neben ihm, in einen groben Leinenanzug gekleidet, schwenkte mit konzentriertem Gesicht eine Standarte, auf der ein Adler und ein Löwe abgebildet waren. Dahinter folgte eine muntere Gesellschaft von Mönchen, Mägden, Kaufleuten und anderen robust gekleideten Männern und Frauen. Die Trommler erhöhten die Takte, und dazu erklang eine fröhliche Melodie, von einem blonden Mädchen auf der Querflöte gespielt. Die Weinfestbesucher begannen im Takt der Trommeln zu klatschen und gaben den Weg frei. Diane drückte sich naserümpfend an den Tresen, als ein als Gaukler verkleideter Görlitzer ihr mit einem anzüglichen Grinsen zu nahe rückte.
Angeführt von dem stattlichen Sprecher und dem schmächtigen Standartenträger, näherte sich der Zug dem Aufgang zum Rathaus und drängte sich an den Prominentenstand heran, um den Abgesandten der Heimatstadt zu begrüßen. Brunos rastlose Blicke strichen über die bunte Schar, als suche er jemanden. Von dem Trubel unbeeindruckt, plauderte
Weitere Kostenlose Bücher