Weinrache
Wolfert und Luigi Milano suchten Norma auf dem Weinfest auf. Ganz und gar in dienstlicher Mission lehnten sie ihre Einladung zu Kartoffeln mit grüner Soße ab und verschmähten selbst ein Glas Wein. Milano wollte lieber einen Espresso, den Norma nicht anzubieten hatte. Sie bat Gabi um eine Pause und begleitete die Kriminalbeamten die wenigen Schritte hinüber zum ›Havanna‹, das dem neuen Rathaus gegenüberlag. Draußen vor dem Eingang waren alle Plätze besetzt, aber drinnen bot das Lokal, eine urige Mischung aus Bar und Café, genügend Auswahl an freien Tischen. Milano strebte am Tresen vorbei in den hinteren Bereich, in dem sie ungestört reden konnten. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder, der sich unter der korpulenten Gestalt in ein Kindermöbel verwandelte. Der dünne Wolfert setzte sich seinem Kollegen gegenüber und bedeutete Norma mit einer Handbewegung, zwischen beiden Männern Platz zu nehmen.
Sie warteten schweigend, bis die Bedienung die Bestellung aufgenommen hatte. Für einen Augenblick rief Norma sich Wolfert und Milano als jene jungen Polizisten in Erinnerung, die kurz nach ihr den Dienst angetreten hatten und damals mit Feuereifer bei der Sache waren. Ein spektakulärer Mord wie dieser hätte ihr Jagdfieber explosionsartig entfacht. Nun wirkten beide eher gelangweilt, wenn nicht sogar abgebrüht. Doch Norma war sich bewusst, dass beider Fähigkeiten als Ermittler darunter nicht leiden mussten. Erfahrung und Routine glichen das Quantum Arbeitseifer aus, das den Männern mittlerweile abhanden gekommen sein mochte.
Milano stützte seine fleischigen Ellenbogen auf die Tischplatte und nickte ihr auffordernd zu. »Also, Norma, wiederhole noch einmal, was du gestern beobachtet hast!«
Kollege Wolfert blätterte unterdessen in seinem Notizbuch. Bei dem Gespräch am Tag zuvor hatte er ihre Aussage mitgeschrieben. Norma wollte ihnen die Arbeit erleichtern und schilderte die Einzelheiten mit akribischer Genauigkeit. Über den mordenden Mönch selbst konnte sie nur vage Angaben machen. Über Nacht waren ihr keine weiteren Einzelheiten eingefallen. Milano und Wolfert wirkten enttäuscht, weil sie mit dem Mönch nicht weiterkamen, ließen Norma aber trotzdem an ihrem derzeitigen Erkenntnisstand teilhaben. Danach war inzwischen immerhin auszuschließen, dass der Mönch zur Görlitzer Gruppe gehört. Das Mönchskostüm war aus einem Raum im Rathaus gestohlen worden, den man der Gruppe zum Umziehen zur Verfügung gestellt hatte. Ob der Diebstahl in der Nacht von Freitag auf Samstag oder erst am Vormittag stattgefunden hatte, stand noch nicht fest. Unbestritten schien, am Samstagmorgen war es dort wie im Taubenschlag zugegangen.
»Könnte Moritz Fischer ein zufälliges Opfer sein?«, fragte Norma.
Milano hob ratlos die Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Falls der Mörder es gezielt auf ihn abgesehen hatte, brauchte er die Dienstzeiten der Prominenten nur im Internet nachzulesen. Das war kein Geheimnis.«
Ein junger Mann trug ein Tablett heran. Er stellte je eine Tasse Kaffee, Espresso und Milchkaffee auf den Tisch und wandte sich mit einem Lächeln ab.
Milano schob Norma den Milchkaffee zu. »Du sagtest, du kanntest Moritz Fischer.«
Norma griff nach der Tasse. »Wir standen uns nicht nahe, falls du das meinst, Luigi. Fischer ist ein Schulfreund meines Mannes. Ab und zu haben wir uns privat mit Fischer und seiner Frau Diane getroffen. In den vergangenen Jahren hat Arthur mit Fischer geschäftlich eng zusammengearbeitet.«
Wolfert zückte den Bleistift. »Wie sah diese Zusammenarbeit aus?«
Norma hatte die Wohnung ohne Frühstück verlassen und seitdem nichts zu sich genommen. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Vorsichtig nippte sie an der Tasse. »Arthur und Fischer haben dieselbe wohlhabende Klientel: Fischer renoviert die Villen, und Arthur stattet sie mit alten Möbeln und Gemälden aus.«
Wolfert beugte sich vor und fixierte Norma durch seine dicken runden Brillengläser. »Wieso sprichst du von Fischer? Wieso nennst du ihn nicht Moritz?«
Norma nahm einen zweiten Schluck Milchkaffee. Noch revoltierte ihr Magen nicht. »Man soll Toten nichts nachsagen. Aber ich konnte ihn nicht leiden. Fischer klingt distanzierter.«
Milano grinste. »Hatte er weitere Feinde außer dir?«
Er besaß die schwarzen Augen seiner italienischen Eltern, war aber, wie Norma wusste, ein echter Wissbader Bub.
Norma begegnete seinem Blick. »Wenn alle, die mir unsympathisch sind, meine Feinde wären … Fischer war
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