Weiß wie der Tod
Auf der ganzen Welt haben wir Kontakte zu Menschen und Organisationen, die dasselbe Schicksal und dieselben Interessen teilen wie wir. Ein jeder hilft mit. Das reicht von regelmäßigen Infoveranstaltungen bis hin zur Unterstützung bei Behördengängen.«
»Das heißt, ich könnte mit der Weißen Lilie auch im Ausland nach einer vermissten Person suchen?«
Sie nickte. »Wir haben Mitarbeiter in der ganzen Welt. Das ist einer der Gründe, wieso sich immer mehr Menschen an die Weiße Lilie wenden. Wir haben das Knowhow und die Motivation vor Ort. Im Gegenzug vertreten Betroffene hier in Deutschland auch die Interessen von Menschen im Ausland, deren Angehörige in unserem Land verschwunden sind.«
»Beeindruckend. Das kann natürlich eine nationale Behörde nicht leisten.«
Die Vorlage nahm Greta Harmstorf postwendend auf. »Das entbindet Sie jedoch nicht von Ihrer Aufgabe.«
»Ja, ich weiß«, wehrte Benguela ab. »Dennoch: Ich dachte, dass die Weiße Lilie in erster Linie Opfern von Kriminalitätsdelikten beisteht. So kann man es zumindest auf Ihrer Website lesen.«
»Das war der Grundgedanke, als sich der Verein vor über zehn Jahren gründete. Nach wie vor ist dies ein wichtiger Grundpfeiler unserer Tätigkeit – aber eben nicht der alleinige. Wir mussten im Zuge unserer Arbeit feststellen, dass das Schicksal der Opfer mit ihrem zeitweisen Verschwinden einhergeht. Manche waren über Jahre in der Gewalt der Täter, bevor ihnen die Flucht gelang oder sie befreit wurden.«
»Eine Besonderheit scheint mir auch die Betreuung durch ehemalige Opfer zu sein.«
Die Frau nickte. »Wir wissen, was es heißt, Opfer zu sein. Wir verstehen, weil wir die Gewalt am eigenen Körper erfahren haben. Niemand sonst kann das mit ihnen teilen. Kein Psychologe, kein Anwalt und schon gar kein Richter. Gewalt ist immer persönlich.«
Das war das Stichwort für Benguela. »Apropos persönlich: Ich konnte mich von einer sehr interessanten Seite in Ihrem Web-Auftritt überzeugen. Unter dem Menüpunkt Raubtiere sind Straftäter über ganz Deutschland aufgelistet. Sie bewegen sich mit diesen Informationen im Grenzbereich des rechtlich Erlaubten, und wenn ich ehrlich bin, verletzen Sie damit die Persönlichkeitsrechte dieser Personen. Ich habe hierzu die Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt.«
Greta Harmstorf zeigte sich wenig beeindruckt. Im Gegenteil, sie ging zum Angriff über. »Diese Personen haben jegliches Recht mit der Begehung ihrer Straftat verwirkt. Sie sind Tiere, die zu jeder Zeit wieder losschlagen können. Keine Gefängnisstrafe und keine Therapie kann das verhindern. Es ist ihre Natur, verstehen Sie? Sie können gar nicht anders, als ihren Trieben zu folgen. Alle natürlichen und gottgegebenen Barrieren funktionieren bei ihnen nicht mehr. Die Bürger haben ein Recht, zu erfahren, wer in ihrer Nachbarschaft wohnt, damit sie Vorsorge treffen können.«
»Unter Vorsorge verstehe ich etwas anderes. Stattdessen säen Sie Verunsicherung, Zwietracht und Hysterie.«
»Wir informieren. Das ist unser gutes Recht. Wir sorgen für Schutz, indem wir aufklären. All das, was die Polizei unterlässt.«
»Wie kommen Sie eigentlich an die Informationen über verurteilte Straftäter?«
Greta Harmstorf war nicht gewillt, auf die Frage einzugehen. Ihre Informationsquellen würde sie hüten wie einen Schatz. Stattdessen wurde sie politisch. »Die Menschen in diesem Land sind nicht mehr länger gewillt, das Unrecht hinzunehmen. Zu viele ihrer Freunde, Schwestern und Brüder wurden verletzt oder getötet. Es ist Zeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Wenn Sie eine Tochter oder einen Sohn an diese Tiere verloren hätten, wüssten Sie, wovon ich spreche …«
Aus dem Hintergrund trat ein Mann. Er hielt inne, als er sah, dass er in ein Gespräch geplatzt war.
»Entschuldige, Greta, ich wusste nicht, dass du einen Termin hast«, sagte Thorsten Waan.
23
Never as good as the first time.
Stephan lag mit nacktem Oberkörper auf der Couch und lauschte den Klängen aus dem Notebook. Er summte die Melodie mit, und wann immer ihm eine Textpassage einfiel, gab er sie zum Besten. »Good times, they come and they go. Never going to know, what fate is going to blow … Ein sagenhafter Song, findest du nicht?«
Er erhielt keine Antwort.
»Wusstest du, dass das zweite Album, Promise, 1985 in den deutschen Charts auf Platz zwei landete und in Österreich nicht über Platz sechs hinauskam? Seltsam. Dabei sagt man, dass die Österreicher nicht nur
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