Weiss wie der Tod
Glück.»
«Du bist verloren, wenn du jetzt gehst», sagte sie.
Levy stockte. «Wie meinst du das?»
Sie schaute ihn traurig an. Dann drehte sie sich um.
Als er zurück zu seinem Haus kam, glaubte er im Flur etwas zu riechen. Er holte den Aufzug nach unten. Als sich die Tür hinter ihm schloss, war es zu spät. Es gab kein Entkommen. Der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Von den Füßen her zog dieser Geruch hoch zu seiner Nase. Da war er wieder. Deutlicher als zuvor.
Sein Herz begann zu rasen, Schweiß trat ihm auf die Stirn, auch seine Hände wurden feucht. Die Flaschen glitten zu Boden.
Behalt dich unter Kontrolle, beschwor er sich. Du bist gleich draußen. Zweiter Stock. Dritter. Er hämmerte auf das Tastenfeld. Vierter. Keine Reaktion.
Rauch drang ein. Wo kam der her? Aus den Belüftungsschlitzen. Er ging in die Knie. Der Geruch biss in seiner Nase, vernebelte sein Hirn. Er konnte nichts mehr sehen. Alles verschwamm. Die Ohnmacht war nur ein Stockwerk entfernt. Sechster.
Er bekam keine Luft mehr. Siebter.
Die Trommeln im Kopf begannen ihr Spiel. Achter.
Er krümmte sich auf dem Boden zusammen. Das kalte Neonlicht vermischte sich mit dem Rauch und dem Wasser in seinen Augen. Neunter.
Eine fremde Stimme. Zehnter.
Es wurde dunkel. Aus.
Elfter Stock.
Die Tür öffnete sich. Eine Flasche Sauza kullerte in den schmalen Schlitz zwischen Stockwerk und Kabine. Lichtreflexe blendeten Levy. Turnschuhe. Adidas. Nasser Straßendreck. An den Spitzen abgestoßen.
Ein Schuh stieß gegen seine Schulter. Er kippte auf den Rücken. Das Neonlicht blendete ihn. Weißgrün. Giftig.
20
W ieso hat es so lange gedauert», fragte Michaelis Marion Landau, die Ehefrau des identifizierten Patrick, «bis Sie sich endlich bei uns melden?»
Marion Landau, eine Mittdreißigerin mit glatten schwarzen Haaren und schmalen Brauen über dunkelbraunen Augen in einem auffallend blassen Gesicht, antwortete ohne Hast. «Ich bin mit den Kleinen vor zwei Wochen zu meiner Mutter nach Essen gereist. In der Zwischenzeit hatte ich keinen Kontakt zu Jochen.»
«Wieso nicht?», fragte Naima Hassiri. «Haben die Kinder ihren Vater nicht vermisst?»
«Sicher, aber es ist nicht außergewöhnlich, wenn sie ihn tagelang nicht zu Gesicht bekommen. Sie haben sich daran gewöhnt.»
«Wie kommt das?», hakte Naima nach.
«Jochen arbeitete als freier Architekt. Das heißt, er ist tagelang oft auch nachts mit irgendwelchen Ausschreibungen beschäftigt, die termingerecht eingereicht werden müssen. Er hat im Keller sein Büro und ein Bett eingerichtet, damit er uns nicht stört.»
«Keine Mitarbeiter, die ihn unterstützen?»
«Doch, auf Honorarbasis. Keine Festangestellten, das kann er sich nicht mehr leisten. In letzter Zeit hatte er niemanden beschäftigt.»
«Und auch Sie haben ihn in den zwei Wochen nicht angerufen, um zu hören, wie es ihm geht?», fragte Michaelis.
«Nein.»
«Warum nicht?»
Das Taschentuch, das sie seit über einer halben Stunde in der Hand hielt, fand nun zum ersten Mal Verwendung. Sie führte es ans linke Auge, ohne dass eine Träne zu erkennen gewesen wäre. «Jochen und ich hatten uns in den letzten Jahren auseinandergelebt. Wir wollten in Ruhe nachdenken, wie es mit uns weitergeht. Zwei Wochen hatten wir uns dafür vorgenommen – ohne Kontakt und ohne die üblichen nichtssagenden Gespräche über den jeweiligen Tagesablauf. Die kannten wir zur Genüge.»
«Wann ist Ihnen aufgefallen, dass etwas nicht stimmt?», fragte Naima.
«Als ich gestern Abend in sein Büro ging. Der Anrufbeantworter war voll, und die Post stapelte sich an der Haustür. Das ist überhaupt nicht seine Art. Er beantwortet Anfragen sofort, darin ist er eigen. Ich habe dann mit den zwei Freien telefoniert, mit denen er vor kurzem zu tun hatte. Auch die wussten nichts von ihm. Schließlich habe ich unsere Nachbarn gefragt. Sie hatten ihn schon länger als drei Wochen nicht mehr gesehen, und Licht soll auch nicht gebrannt haben. Da wusste ich, dass mit Jochen etwas geschehen sein musste.»
Wieder das Taschentuch, wieder das linke Auge, ein leises Schniefen.
«Kann ich Ihnen noch etwas zu trinken bringen?», fragte Naima.
«Danke, es geht schon.»
Michaelis konnte sich nicht so recht für die Aussagen Marion Landaus begeistern. Diese Witwe wirkte sehr kühl; auch wenn es in der Beziehung nicht mehr so recht funktionieren wollte, gab es doch noch die gemeinsamen Kinder. Allein das hätte ihr nahegehen müssen. «Hatte Ihr Mann in letzter Zeit
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