Weiss wie der Tod
Außeneinsatz, und die wenigen, die das Glück hatten, auf der Wache Dienst zu schieben, hingen an den Telefonen und beantworteten Fragen der besorgten Bevölkerung.
Er stand einsam und ratlos vor dem Faxgerät, das ein Blatt nach dem anderen ausspuckte. Alle Faxe kamen vom selben Absender, mit der immer gleichen Aufforderung: Bitte helfen Sie, diese Person zu finden.
Sascha nahm einen Stapel Faxe und fragte einen der Kollegen, was er damit anstellen solle. Der winkte jedoch ab und schickte ihn weiter. Auch der nächste hatte kein Ohr für sein Anliegen. Und so landete er wieder vor dem Faxgerät, dem mittlerweile das Papier ausgegangen war. Er füllte das Fach auf, und weiter ging es mit den Vermisstenanzeigen.
Der junge Polizeimeister war froh, durch ein klingelndes Telefon von dem bizarren Schauspiel abgelenkt zu werden. Er nahm den Hörer von der Gabel.
«Polizeimeister Degen. Womit kann ich Ihnen helfen?»
«Kriminalhauptkommissar Benguela am Apparat. Ich recherchiere im Zuge unserer Ermittlungen der beiden Wasserleichen, Sondereinheit Michaelis. Sie haben vielleicht schon von uns und den beiden Fällen gehört.»
Sascha fühlte sich ertappt. «Es tut mir leid, Herr Kriminalhauptkommissar. Ich bin erst seit ein paar Tagen in der Abteilung. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich ausführlich zu informieren.»
«Macht nichts. Aber vielleicht können Sie mir dennoch weiterhelfen.»
«Sollte ich Sie nicht besser mit einem der Kollegen verbinden? Sie müssten sich allerdings etwas gedulden. Alle Kollegen sprechen.»
«Gut, dann warte ich so lange.»
Sascha versuchte weiterzuverbinden. Doch ohne Erfolg. Das Gespräch kehrte ein ums andere Mal auf seinen Apparat zurück.
«Herr Kriminalhauptkommissar, ich kann Sie leider nicht durchstellen. Alle Leitungen sind besetzt, und ich kann nicht von meinem Platz weg. Das Faxgerät spuckt eine Vermisstenanzeige nach der anderen aus.»
Benguela wurde hellhörig. «Vermisstenanzeigen? Sind es denn so viele?»
«Ja, bündelweise.»
«Haben sie etwas mit der Sturmflut zu tun?»
«Ich weiß nicht. Ich habe sie mir noch nicht angesehen.»
«Dann tun Sie es bitte. Ich würde gern wissen, worum es sich dabei handelt.»
Sascha nahm das erste Fax vom Stapel und las vor: « Noch immer vermisst wird: Lukas Fessler. Alter: neunzehn Jahre … Es folgen weitere Angaben zur Person und ein Bild des Mannes. Darunter steht: Der Verbleib von Lukas Fessler ist bis heute nicht geklärt. Die Familie und Freunde haben ein Recht, zu erfahren, was aus Lukas geworden ist. Kommen Sie Ihrer Arbeit nach und helfen Sie mit. Denn: Wer nichts tut, macht sich schuldig! Gezeichnet: Die Weiße Lilie. Selbsthilfeorganisation von und für Kriminalitätsopfer. Tut mir leid, ich kann nichts erkennen, was auf die Sturmflut schließen lässt.»
Benguela dachte kurz nach und entschied: «Schicken Sie mir bitte die Faxe zu. Ich möchte sie mir ansehen.»
«Das wird aber dauern. Es sind sehr viele.»
«Rufen Sie einfach den Speicher des Faxgeräts ab und schalten Sie eine Weiterleitung. Ich gebe Ihnen meine Nummer.»
Ein paar Minuten später konnte Luansi am Bildschirm verfolgen, wie ein Fax nach dem anderen hereinkam. Sie hatten alle denselben Wortlaut und unterschieden sich nur in Beschreibung und Bild der vermissten Person. Am Ende der harschen Aufforderung, die Suche nach der vermissten Person nicht einzustellen, prangte eine Lilie mit Anschrift und Kontaktadresse.
Benguela hatte noch nie von der Weißen Lilie gehört. Sie firmierte als eingetragener Verein in Hamburg-Altona. Er startete den Browser und gab die Internetadresse ein.
Auf einer schlicht gehaltenen Website präsentierte sich der Verein, der als erstes Ziel seiner Tätigkeit die Opferhilfe sah. Hier ging es um die persönliche Betreuung eines Opfers nach erlittener Straftat, Hilfestellungen bei Behördengängen, Hinweise zu Erholungsprogrammen und dergleichen mehr. Nichts Außergewöhnliches auf den ersten Blick. Andere Einrichtungen boten Ähnliches. Doch Benguelas Aufmerksamkeit wurde durch zwei ungewöhnliche Details geweckt. Das eine war die Selbstdarstellung, dass die Ansprechpartner bei der Weißen Lilie selbst Opfer von Straftaten gewesen waren.
Das zweite war die Frage: Wohnt auch in Ihrer Straße ein Raubtier?
Benguela klickte den Link an. Er führte ihn zu einer deutschlandweiten Landkarte, die mit kleinen Tatzen gespickt war. In der Überschrift wurde der Nutzer aufgefordert, auf eine dieser Tatzen zu klicken oder Stadt
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