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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Evans
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eingraviert waren.
    Ein dumpfes, beinahe taubes Gefühl überkam Andrew. Sein Verstand arbeitete in Zeitlupe, während er die Umgebung aufnahm. Vielleicht hatte er sich auf dem Flug wirklich etwas eingefangen. Alles um ihn herum schien zu pulsieren. Hier verstecken sie die Geschichte .
    Sie gingen zu dem langen rechteckigen, mit Terrakotta gefliesten Duschraum mit den vielen Duschköpfen und Seifenbehältern in einer Reihe. Du kannst mit all den anderen Nackedeis um einen Platz kämpfen, hatte Matron gesagt und damit eine Vision von nackten weißen Gestalten, die sich in dichtem Dampf verrenkten und schrubbten, heraufbeschworen. Andrew verdrängte das Bild. Es war, als wäre es ganz von selbst aufgetaucht und wieder verschwunden.
    »Ich bin nicht gern hier unten«, fuhr Matron fort. »Es ist mir unheimlich. Es gibt ein Gespenst im Lot, musst du wissen. Die Jungs machen ihre Scherze darüber, dass es oben in den Zimmern spukt. Ich hingegen denke, dass es hier unten ist.«
    »Ein Gespenst?«, wiederholte er.
    »Wenn du an so was glaubst.«
    »Nicht wirklich«, erwiderte er lässig.
    Während sie ihren Rundgang vollendeten, plauderte Matron über die Hausregeln. Zu guter Letzt fühlte sich Andrew von den vielen Informationen überfordert. Sein Gesicht war verkniffen, die Augenlider wurden schwer. Das fiel Matron auf.
    »Du bist müde«, stellte sie fest.
    Ohne ein weiteres Wort führte sie ihn zu seinem Zimmer und zog sich schnell zurück. Nach jahrelanger Erfahrung wusste sie, was jetzt kam.
    Andrew warf sich auf die bloße Matratze und fing zu seiner Schande an zu weinen. Er vergrub das Gesicht in dem unbezogenen Kissen, damit Matron sein Schluchzen nicht hörte. Plötzlich wurde ihm und seinem benebelten, vom Jetlag gepeinigten Gehirn alles zu viel. Die lange Reise. Die erbärmliche Einsamkeit in diesem Haus. Das Schwindelgefühl, das allem zugrunde lag : Wie bin ich hier gelandet? Wie soll ich es nur ein ganzes Jahr an diesem Ort aushalten? Der Anfall dauerte zwei kurze Minuten an. Dann versank Andrew in Benommenheit.
    Ein leises Klopfen weckte ihn, und er wischte sich den Speichel vom Kinn, als die Tür aufging. Brauchst du noch eine Minute?, ertönte eine Stimme. Andrew schaute auf und bekam seinen ersten Harrowianer zu Gesicht. Der junge Mann wirkte zartgliedrig, aber keineswegs kränklich und sah aus, als wäre er aus Sonnenschein geschmiedet: Seine Kleider waren farbenprächtig, stylish, teuer, ungewohnt – keine verstaubten Klamotten, sondern ein dunkelrotes Hemd mit breitem Kragen, eine passende Hose ohne Bügelfalte und eine Wildlederjacke. Kleine blonde Löckchen fielen ihm in die Stirn, seine tiefliegenden Augen drückten Mitgefühl aus. Er war schlank und athletisch. Die Sehnen an seinem Hals zuckten, wenn er sich bewegte, seine Brust war glatt und golden gebräunt. Andrew betrachtete ihn, als würde er träumen. So waren die Studenten von Harrow ? Er selbst kam sich schwammig und blass vor und … amerikanisch. Der Typ grinste ihn an.
    »Du bist Amerikaner«, konstatierte er. »Ich bin Theo Ryder, dein Zimmernachbar.« Andrew fiel der Akzent auf. »Matron meinte, du könntest jemanden brauchen, der dich hier ein bisschen einführt.«
    »Tatsächlich?«
    Theo lachte. »Sie ist nicht gerade warmherzig oder fürsorglich, was? Daran wirst du dich gewöhnen.«
    »Oh, dann ist dies also nicht dein erstes Jahr in Harrow ?«
    »Ich bin seit meinem zwölften Lebensjahr hier. Ich war einer der Shells und hab jede Nacht in mein Kissen geheult, weil ich Heimweh nach meiner Mummy hatte.«
    Andrew wurde rot und fragte sich, ob seine Tränen Spuren hinterlassen hatten.
    »Hast du deine Ausstattung schon bekommen?«, wollte Theo wissen.
    »Meine …?«
    »Krawatte, Hut und so weiter.«
    »Nein, den Hut muss ich mir noch holen.«
    Theo wiederholte den Satz und ahmte grinsend Andrews amerikanischen Tonfall nach. »Du hast noch nichts? Keine Greyers, gar nichts?«
    Andrew schüttelte den Kopf.
    »Wir haben zu tun. Komm. Wir gehen zu Pags & Lemmon.«
    Sie schlenderten zu dem altmodischen Herrenausstatter, wo ein weißhaariger Mann mit Glasauge ( Hieronymus Pags, wie Andrew auf einer Visitenkarte las, die auf der Ladentheke lag ). Andrews Brust-, Hals- und Kopfumfang vermaß, ehe er ganze Stapel von Hosen, Jacketts, Harrow-Hüten und Harrow-Krawatten zutage förderte. AndrewsAusstattung für ein Jahr. Die Harrow-Krawatte ist schwarz , erklärte Mr. Pags mit einem affektierten Lächeln, wegen der Trauer um Königin

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