Weißer Teufel
erfahren – davon war er überzeugt.
Am Abend zuvor hatte Andrew einige SMS erhalten:
Das Haus meiner Mutter in Hampstead ist übers Wochenende leer. Lust, mir Gesellschaft zu leisten? Diskretion, Diskretion. Sir A
braucht nichts davon zu wissen. Der Name meiner Mutter ist: Fidias. Sprich es nicht »Fiddyass« aus, wie ihr Amerikaner es tun würdet. Es heißt: Fee THEE ES .
Er hatte jede einzelne Nachricht eifrig gelesen, als wäre sie ein Roman. Und er malte sich aus, dass er Persephone splitternackt vor sich sah, sich mit ihr in Laken hüllte wie Mann und Frau und mit ihr die Unabhängigkeit genoss: DVDs zu gucken, Essen ins Haus zu bestellen, ohne neunundfünfzig rangelnde Jungs um sich zu haben, Jungs, die sich an seinen Tisch setzten, auf seine Toilette gingen oder rutschigen Seifenschaum auf dem Boden im Badezimmer hinterließen. Er wusste, dass Persephone netter war, wenn sie allein waren, und freute sich darauf, sich nicht in leere Klassenräume oder Schülerzimmer schleichen zu müssen, sondern sich im ganzen Haus austoben zu können. Sie würde ihm mit den großen Augen zuzwinkern und ihn an ihrer Weiblichkeit laben lassen … Scheiße. Jetzt war alles verdorben. Sie waren aufgeflogen.
»Natürlich, was gibt’s?«, fragte Andrew mutiger, als er sich fühlte.
Sir Alan zuckte bei Andrews ungehöriger Frage zusammen, schüttelte jedoch sein Unbehagen ab. »Ich bin besorgt«, verkündete er, »deinetwegen.«
»Wieso?«
»Eine neue Schule, ein neues Land – das ist eine große Umstellung. Und du bist bei uns in äußerst ungewöhnliche Umstände geraten. Es ist nicht alltäglich, dass in Harrow ein Schüler aus der Abschlussklasse stirbt.«
Andrew senkte den Blick.
»Ich kannte Theo Ryder«, setzte Sir Alan nachdenklich hinzu. »Ich habe ihn in der Mittelstufe unterrichtet. Nicht der beste Schüler. Aber ein guter Charakter. Er hätte es zu etwas gebracht. Trotz allem, was wir unseren Schülern hier zu vermitteln versuchen, sind gute Zensuren nicht immer der beste Weg zum Erfolg. Manchmal istSport besser. Das heißt, man ist wettbewerbsfähig, gewinnt gern und hält Verletzungen und harte Gegner aus. Das alles bedeutet, dass man ein Anführer sein kann. Es gibt andere hier – nicht nur Schüler –, die diesen Test nicht bestehen würden.«
Andrew wartete, dann sagte er. »Und darüber wollten Sie mit mir sprechen? Dass ich mich im Sport mehr engagieren soll?«
Sir Alan zog die Augenbrauen hoch. Andrews Ton war gleichmütig, dennoch enthielten seine Worte etwas Freches. »Nicht über Sport. Über deinen Hausvater, Piers Fawkes.«
Andrew sah überrascht auf.
»Mr. Fawkes ist ein Dichter.« Sir Alan ließ den Satz eine Weile in der Luft hängen und Schatten werfen. »Das ist schön und gut. Ich war Anwalt, ehe ich Lehrer wurde. Wir alle haben ein Kreuz zu tragen.« Er grinste breit und zeigte seine gelben Zähne. Andrew versuchte, das Lächeln zu erwidern, doch dann fielen ihm die kleinen grauen Haare, die auf Sir Alans Nase wuchsen, und die Büschel in seinen Ohren auf. »Ich soll seine Leistungen als Hausvater beurteilen.«
»Mr. Fawkes’ Leistungen?«
»Nach Theos Tod müssen wir sie hinterfragen. Zu viel steht auf dem Spiel mit sechzig Jungs in seinem Haus. Unsere Hauptsorge gilt, offen gesagt, seiner Stabilität. Es ist schwer, das Gleichgewicht zu wahren, wenn einen der Jungs eine solche Tragödie getroffen hat. Ich habe eine Tochter, wie du weißt. Und der Gedanke, dass ihr etwas passieren könnte … nun, so was kann den Stärksten umhauen. Das ist mir bewusst. Aber …« Seine Stimme wurde schriller, als wollte er die Bedeutsamkeit des Kommendentarnen: »Soweit ich gehört habe, gibt es da eine Verbindung zwischen dir und ihm. Es geht um das Lot-Gespenst. Kannst du mir das erklären?«
»Verbindung?«, hakte Andrew nach, um Zeit zu gewinnen.
Doch Sir Alan war ein zu gewiefter Anwalt, um darauf hereinzufallen. Er schwieg und starrte Andrew unverwandt an, während er auf eine Antwort wartete.
»Die Leute im Haus haben mir von dem Lot-Geist erzählt«, begann Andrew unsicher.
»Leute?«
»Matron.«
»Und weiter?«
»So … habe ich davon erfahren.«
»Jeder weiß davon«, behauptete Sir Alan unnachgiebig. »Ich möchte wissen, was du damit zu tun hast. Im Besonderen.«
Andrew spürte, dass er rot wurde. »An meinem ersten Tag hat mich Matron durchs Haus geführt, und ich glaubte, im Keller etwas zu fühlen.«
»Was?«
»Nur … ein Schaudern. Es war mir unheimlich,
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