Weißes Gift im Nachtexpreß
Fettfalten-Gesicht schimmerte rosig aus dem dunklen Hintergrund der
Diele.
Anklagend streckte Tim den Arm gegen
ihn aus.
„Es ist besser, Sie reden mit uns, Dr. Landers.
Otto Pawelke hat nämlich nicht funktioniert. Er hat alles verraten.“
Die Tür öffnete sich. Landers kam, die
Hand in der Hosentasche.
Die Pistole! dachte Tim. Der Typ ist zu
allem fähig.
Hinter der schmiedeeisernen Gartenpforte
blieb Landers stehen.
„Was wollt ihr? Ich sagte doch schon:
Ich kenne keinen Otto Pawelke.“
„Vielleicht haben Sie den Namen
vergessen“, sagte Tim. „Gemeint ist der Stadtstreicher mit dem gebrochenen
Bein. Sie haben ihm einen Haufen Geld zugesteckt und rübergeschleppt zu den Sauerlichs,
damit er behauptet, er hätte sich dort — auf dem nicht-bestreuten Glatteis —
das Bein gebrochen.“
„Behauptet er das?“
„Er beschwört es.“
„Dann lügt er. Kein Wort ist wahr. Ich
kenne den Menschen nicht. Und niemals würde ich sowas tun. Weshalb auch?“
„Weil Sie glauben, er sei bei Ihnen
gestürzt. Ist er aber nicht. Das Bein hatte er sich längst vorher gebrochen.
Ein Trickbetrüger. Sie verstehen?“
„Nichts verstehe ich. Und nichts habe
ich zu tun mit alldem. Jetzt belästigt mich nicht länger, sonst werde ich
ungemütlich.“ Kleine Augen hinter Fettwülsten starrten die Jungs an. Er machte
eine wegwerfende Geste, drehte sich um und stampfte zum Haus zurück. Krachend
fiel die Eingangstür ins Schloß.
3. Verzicht aufs Festessen
„O Mann!“ Karl schüttelte den Kopf.
„Wenn ich nicht wüßte, Tim, daß deine Gehirnsülze einwandfrei tickt, würde ich glauben,
die andern wären im Recht. Dieser Otto Pawelke beharrt auf seiner Behauptung.
Und Landers ist die reinste Unschuld.“
Man konnte hören, wie Tims Zähne
aufeinander rieben. Mühsam bezähmte er seine Wut.
„Eine galaktische Unverschämtheit! Aber
jetzt will ich’s wissen! Das klären wir auf. Im Grunde ist es ja ein Klacks.
Selbst wenn Otto sich vor Willis Elternhaus die Gräte gebrochen hätte, käme da
kein großes Ärgernis nach. Doch es geht um Grundsätzliches. Also machen wir weiter.
O.k.?“
„Selbstverständlich!“ Klößchen zog eine
Tafel Schoko aus der Tasche und riß das Papier auf.
„Ich laß doch meine Leute nicht hängen.
Die Schande des Nicht-Gestreut-Unfalls an einem Randgruppen-Angehörigen,
nämlich einem Penner, bliebe ja sitzen auf unserem Haushaltungs-Vorstand. Nein!
Papas Weste muß sauber bleiben. Allerdings — wollen wir jetzt gleich los? Nach
dem Abendessen wären wir besser gestärkt. Es gibt überbackenen Kalbsrücken nach
Ossi-Art, dazu Dresdener Gemüse, sächsische Sauce mit Thüringer Klößchen und
als Nachtisch Schoko-Eisbombe, wie August der Starke sie aß. Ihr merkt schon —
unser Besuch soll sich geehrt fühlen.“
„Klingt verlockend“, meinte Tim. „Aber
die Action geht vor. Wir krallen uns Herbert, den Kampf-Bettler. Sofort! Wenn
der nämlich Lunte riecht, ist er verduftet.“
Klößchen murrte zwar, hatte aber den
Mund voller Schoko; das stellte ihn zufrieden.
Die Jungs liefen zur Sauerlich-Garage,
wo die Drahtesel parkten.
Tim dachte zunächst daran, Gaby
mitzunehmen, verwarf das aber gleich. Zum einen war die Witterung zu rauh, zum
andern das Unternehmen nicht ungefährlich, und letztlich sähe es wirklich nicht
gut aus, wenn die Sauerlichs mit ihrem Besuch allein an der Tafel sitzen.
Abmelden?
Das Risiko waren Verbot und
Ermahnungen.
Da machte es sich gut, daß Gaby in
diesem Moment aus dem Haus kam.
Tim bemerkte erst jetzt, daß sie einen
schicken Kaschmir-Pullover trug — in Lila mit Muster — und cremefarbene
Winter-Jeans mit Zierstickerei an den Taschen. Das Goldhaar war als Pferdeschwanz
gebunden; und in den Kornblumenaugen lag ein Vorfrühlingsglanz.
„Was ist denn los? Wollt ihr weg?“
Tim erklärte, was anlag, und wie
unnachbarlich dieser Landers bei seiner Lüge blieb.
„Ihr könnt doch jetzt nicht abhauen.
Drin ist die Tafel gedeckt.“
„Wegen der gerechten Sache“, sagte Tim,
„verzichten wir. Entschuldige uns, ja?“
„Und sag Mama“, rief Klößchen, „sie
soll mehrere Portionen für mich aufheben.“
„Ein lümmelhaftes Benehmen“, sagte Gaby
durch ihre Perlenzähne.
„Wir setzen uns ein für Gerechtigkeit“,
Tim küßte seine Freundin auf die Wange, „das ist wichtiger als Völlerei.“
„Spinner!“
Gaby war sauer. Mit fröstelnd
hochgezogenen Schultern ging sie ins Haus zurück.
Die Jungs beeilten sich, daß
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