Weißes Gift im Nachtexpreß
Boden, der — um Himmels willen! — auch dort nicht bestreut war.
Landers eilte zurück, ein wabbelnder
Hüne, schnaufte durch seine Pforte und verschwand flugs im Haus.
Tim blieb die Spucke weg.
Diesmal zählte Otto nicht bis hundert.
Er war zum Sauerlichschen Torpfeiler gerutscht, hatte auf die Klingel gedrückt
und erhielt soeben Antwort durch die dortige Gegensprechanlage.
Sofort plärrte er los. „Hilfe! Hilfe!
Ich bin gestürzt. Vor Ihrer Tür.“
2. Ein böser Nachbar
Im Eiltempo strömten sie aus dem Haus:
Gaby voran, dann Karl, Klößchen und ein Junge von etwa 17, den Tim nicht
kannte.
Mit zwei Menschenlängen Abstand folgten
Klößchens Vater, Hermann Sauerlich, kugelrund, aber behende, und ein hagerer
Mann in einem schlecht sitzenden Anzug.
Im Nu hatten sie Otto umringt. Sie
schienen an ihm herumzuzerren. Denn Tim, der gemächlich sein Rennrad näherschob,
hörte die Stimme seiner Freundin.
„So nicht“, sagte Gaby. „So müßt ihr ihn
nehmen, sonst tut’s ihm weh. Erstmal reintragen. Und... Hier anfassen, Karl!
Und dann den Notarzt verständigen.“
„Gaby kennt sich aus in erster Hilfe“,
erklärte Klößchens Vater dem Hageren. „Gibt’s das bei euch drüben auch,
Manfred?“
„Allemal“, erwiderte Manfred in
sächsischer Tonlage. „Wir waren zwar abgeschnitten von der Welt, aber doch
nicht in Sibirien.“
„Wer ist der Hausherr?“ rief Otto.
„Das bin ich“, erwiderte Sauerlich.
„Dann wissen Sie ja, was Sie mir
schulden. Bei Ihnen ist nicht gestreut. Anzeigen werde ich Sie! Jawohl,
anzeigen! Und alle Kosten stelle ich Ihnen in Rechnung.“
Tim wußte nicht, ob er grinsen oder Wut
ablassen sollte.
Karl, Klößchen und Manfred enteilten im
Laufschritt zum Haus — wobei sie Otto zwischen sich trugen.
An der Eingangstür warteten zwei Damen.
Besorgnis in den Mienen. Klößchens Mutter hatte sich ganz in Taubengrau
gehüllt. Die andere Dame — vermutlich Frau Streiwitz — war kurzhaarig und
blond.
Tim holte die Nachhut ein: Gaby, Sauerlich
und den Jungen.
„Hallo!“
„Da bist du ja endlich!“ Gaby fiel dem
TKKG-Häuptling um den Hals — ungestümer als sonst. Sicherlich, um dem Streiwitz-Jungen
gleich klarzumachen, wie hier die Sympathien verteilt waren.
„Komme ich zu spät?“ fragte Tim und
entschuldigte sich im selben Atemzug. „Hatte ja auch den weitesten Weg.“
Begrüßung. Der Junge hieß Dieter, war
tatsächlich 17, trotzdem etwas kleiner als Tim, hatte ein offenes Gesicht und
das gleiche Strohblond der Mutter. Vor Aufregung, oder weshalb auch immer, war
sein Händedruck verschwitzt.
„So ein Pech“, murmelte Sauerlich. „Wir
haben vergessen zu streuen. Jetzt gibt’s Ärger.“
„Weniger als Sie glauben“, lachte Tim.
„Ist der Splitt noch in der Garage?“
Daran hatte sich nichts geändert. Tim
stellte sein Stahlroß ab, nahm den Eimer und lief zur Straße. Innerhalb von
zwei Minuten verwandelte er die Eisesglätte entlang dem Sauerlich-Grundstück in
einen begehbaren Pfad. Für alle Fälle. Damit nicht wirklich jemand
verunglückte.
Die Sauerlichsche Diele ist eher eine
Halle. Dort saß Otto auf einem Sessel und starrte wild um sich. Voller
Mitgefühl umstanden ihn alle. Eben hatte Sauerlich den Notarzt angerufen.
„...aber anzeigen werde ich Sie“, rief
Otto. „Aus Prinzip. Jawohl!“
Tim betrachtete ihn aus der Nähe, den
struppigen Kerl unbestimmbaren Alters. Ein eckiger Schädel und grobknochige
Züge. Die kalten Augen hatten aufgehört, sich irgendwas zu erhoffen. Ein böser
Typ.
„Na, Otto“, Tim stellte sich vor ihn,
„lohnt sich die Masche?“
„Was?“ Der Penner schielte zu ihm auf.
„Der Trick ist nicht übel. Wie viele
saumselige Hausbesitzer habt ihr denn heute schon abgekocht?“
„Was? Ich verstehe nicht.“
„Nur eins finde ich ungut: Daß du ausgerechnet
Herrn Sauerlich anzeigen willst, den nettesten Anwohner dieser prachtvollen
Straße. Hat dich dieser Dr. Landers so reichlich geschmiert?“
Ottos Gesicht verlor alle Farbe.
„Was... was meinst du?“
Tim wandte sich an die andern.
„Vor Ihrem Grundstück, Herr Sauerlich,
ist niemand verunglückt. Am wenigsten dieser Typ. Ich sah, wie er sich zuerst
beim übernächsten Haus, bei einem Dr. Landers, vor die Pforte legte. Auch dort
ist nicht gestreut. Otto Pawelke hat bei Landers die gleiche Schau abgezogen.
Aber dieser feine Nachbar wußte sich zu helfen. Er hat dem Penner viel Geld
zugesteckt und hierher verfrachtet. Denn...“
„Ist
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