Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
gestorben ist. Lungenkrebs. Bis heute weiß ich nicht, was aus Ahmed geworden ist.
KAPITEL 39
Der Ton meines Alphorns hallt durch das Tal. Zehn Minuten lang. Das muss reichen. Von Mick und Julie weiß ich, dass sie es gerne hören. Doch allzu oft pflege ich diese schweizerische Tradition trotzdem nicht. Die Kultur aus der alten Heimat allzu auffällig zur Schau zu stellen, zu häufig, zu laut, wird nicht wirklich geschätzt. Einmal hatte ich zum Anlass des Schweizer Nationalfeiertages am Eingangstor unseres Grundstücks eine kleine Schweizer Fahne auf den Zaunpfosten gesteckt, einfach zum Spaß. Ein Nachbar meinte, ziemlich aufgebracht, ich solle sie runternehmen und eine australische Flagge aufsetzen. Seither flattern auf dem Dach unseres Hauses eine kleine deutsche Flagge und die schweizerische. Zum Trotz.
Der süße Geruch des Frühlings legt sich über »Wombat Creek«, als ich mit Max und Susi einen Spaziergang über unser Grundstück mache. Ich brauche diese Momente der Entspannung. In ein paar Wochen sind Wahlen, vielleicht die wichtigsten in Jahrzehnten. Australien wird sich für einen Weg entscheiden, von dem es kein Zurück geben wird. Premierminister Kevin Rudd und seiner Labor-Partei steht Tony Abbott von den Konservativen gegenüber. »Noch nie in der Geschichte war die Qualität der Politik so miserabel wie in diesem Wahlkampf«, schreibt Barry Jones, einer der angesehensten Intellektuellen Australiens. Der Kampf zwischen Labor und den Konservativen, zwischen Abbott und Rudd, sei auf ein absolutes Tief gefallen. Parolen statt Programme, Ideologien statt Lösungen. Das ist für mich als Journalist eine interessante Geschichte. Für uns als Gruppe ist diese Situation eine Herausforderung, die an die Nerven geht.
Die Akazien stehen in voller Blüte, Insekten laben sich an ihrem Nektar. Die leuchtend gelben, bauschigen Blüten verströmen einen Duft, der sich an windstillen Tagen wie eine parfümierte Decke übers Land legt. Nichts verkörpert die Schönheit der australischen Natur so wie die Akazie. Und da sehe ich plötzlich Rambo. Zum ersten Mal seit Monaten ist das Riesenkänguru wieder zu Besuch. Erfreulicherweise nicht in unserem Garten. Starker Regen in den letzten Wochen und Monaten hat in der Natur zu einem enormen Wachstumsschub geführt. Das Gras auf den Wiesen ist kniehoch, grün und saftig. Die Kängurus müssen sich nicht mehr in die Nähe von Menschen wagen, um Futter zu finden. Rambos Harem hat sich vergrößert. Sechs Weibchen streiten um seine Gunst, offenbar erfolgreich. Drei haben »Joeys« in ihren Beuteln. Neues Leben, Hoffnung. Frühling.
Das Problem ist nur: Es ist nicht Frühling, es ist Winter.
Im Juli herrschen bei uns im Gebiet sonst Temperaturen wie in Mitteleuropa im späten Herbst oder im frühen Winter. Nachts kann das Thermometer durchaus unter die Nullgradgrenze fallen. Nun haben wir am Tag Temperaturen von bis zu 18 Grad. »Noch nie in der Geschichte war es so warm um diese Jahreszeit«, meldet das Meteorologische Institut. Ein Rekord nach dem anderen wird gebrochen.
Im Supermarkt, zwischen dem Fleisch- und dem Gemüsestand, treffe ich Sally. 27 Jahre lang hat sie als Klimatologin gearbeitet, bevor sie vor kurzem in Rente ging. Ich erzähle ihr von unseren Akazien. Doch Sally zeigt wenig Begeisterung. »Klimawandel«, sagt sie. »Deine viel zu früh blühenden Bäume sind Vorboten einer Katastrophe. Jeder von uns weiß es«, sagt sie mit tiefer Stimme, »doch keiner will es wissen.«
Tatsächlich: Wenn man die Zeitungen liest, die Fernsehnachrichten schaut, Radiosendungen hört – Australien scheint sich über jedes andere Problem aufzureiben und aufzuregen, nur nicht über die wirklich wichtigen. Die mangelnde Leistung der Cricket-Nationalmannschaft, ein gedopter Rugbyspieler, hohe Benzinpreise und natürlich das Lieblingsthema – Bootsflüchtlinge. »Schon wieder ein Boot abgefangen«, schreit Murdochs Daily Telegraph und zitiert den Schattenimmigrationsminister der Konservativen. »Wir werden die Boote stoppen.« Ohne Gnade.
Es ist Samstagnachmittag, und der Saal der Country Women’s Association platzt aus allen Nähten. An den weißgetünchten Wänden hängen Schwarzweißfotos von längst verstorbenen Präsidentinnen der Organisation, alle in züchtigen Kleidern und mit strengem Blick. Darüber das verblichene Porträt von Königin Elisabeth II. Eine Bastion konservativen Denkens.
Doch heute hört man hier geradezu revolutionäre Töne. Eine
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