Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
dauern, bis auch Deutschland Christine endlich das Recht zugesteht, Deutsche zu bleiben. In diesen Tagen wird sie ihren australischen Pass beantragen.
Das Gesetz ist ungeschrieben, aber verbindlich: Von Neuankömmlingen wird erwartet, dass sie ihre Probleme aus der Heimat an der Grenze lassen. Und die Neu-Australier müssen bereit sein, sich zu integrieren – bis zu einem gewissen Grad. Dazu gehört – mehr oder weniger kompromisslos – das Erlernen der englischen Sprache. Die Akzeptanz gewisser »australischer« Werte, etwa die Emanzipation von Frauen, die Nichtunterdrückung von Andersdenkenden, ist ebenfalls Bedingung. Kulturelle Wurzeln dürfen zwar gepflegt werden, aber sie sollen das »Australisch-sein« nicht dominieren. Also: Unser samstägliches Raclette ist akzeptabel, ja sogar exotisch, lustig, für unsere australischen Freunde. Mit meinen Kindern in der Öffentlichkeit zu lange Deutsch zu sprechen hingegen nicht.
Halten sich neue Immigranten an diese Prinzipien, werden sie in der Regel von der Bevölkerung akzeptiert.
Ein Paradies multiethnischer Harmonie ist Australien trotz allem nicht. Jeden Tag kommt es in Bussen und Parks zu Ausbrüchen von offenem Rassismus, vor allem gegenüber Asiaten, und – seit den Terroranschlägen in New York 2001 – gegenüber Menschen, die aus dem Nahen Osten stammen. Jeden Tag werden muslimische Frauen mit Kopftuch in Sydney angespuckt, Männer mit Bärten als »Drecksterroristen« beschimpft oder indische Studenten in den Nachtzügen von Melbourne verprügelt, »weil sie unsere Jobs stehlen«. 2005 kam es am Strand von Cronulla in Sydney zu einer Straßenschlacht zwischen jungen Australiern libanesischer Herkunft und »weißen« Australiern. Junge Bogans verprügelten jeden, der aussah wie ein »Araber«, und sie forderten – in die australische Flagge gehüllt und mit einem Bier in der Hand – »unser Land« zurück, »unseren Strand«. Zuvor hatte Radiomann Alan Jones Libanesen zweiter Generation als »Schädlinge« bezeichnet, die das Land ausraubten und Australierinnen vergewaltigten. Bezeichnend war die Reaktion der Politik: Der damalige Premierminister John Howard meinte nach Cronulla, in Australien gäbe es keinen Rassismus. Es war die vielleicht absurdeste Behauptung seiner Amtszeit.
Doch Cronulla war eine Ausnahme. Rassismus zeigt sich in Australien in subtiler Form, unauffällig, aber nicht weniger schmerzhaft für die Betroffenen. Negative Äußerungen gegenüber Fremden, über Fremde. Oder die mangelnde Bereitschaft, Englisch mit einem fremdländischen Akzent zu verstehen. Oder die Bevorzugung von »weißen« Bewerbern bei der Vergabe von Arbeitsplätzen. »Es besteht kein Zweifel«, erzählte mir eine Schweizer Geschäftsfrau, die seit 20 Jahren in Australien lebt und arbeitet, »dass das angloaustralische Australien eine unausgesprochene Abmachung unter sich hat, die wirklich einflussreichen Positionen in der Wirtschaft in erster Linie selbst zu besetzen. Man will unter sich bleiben.« In der Tat sind in den Führungspositionen von Unternehmen selten Männer zu sehen – und noch weniger Frauen –, die nicht Namen wie Smith, McCormack, Jackson oder Johnson tragen.
Ich habe mich schon stundenlang mit Freunden und Bekannten über die Frage unterhalten, ob »Fremde« von der weißen, vorwiegend angelsächsischen, politisch und wirtschaftlich dominierenden Bevölkerungsmehrheit akzeptiert sind oder nur toleriert oder gar nur geduldet werden. Eine Antwort habe ich bis heute nicht gefunden.
*
Betty Nixon schwebt in einer Wolke von Tabakrauch, als sie mich in ihr Haus bittet. Marlboro. Und zwar nicht die leichte Version. Mitten in Greentown, beste Lage. Das klassische australische Familienheim, schöner Garten mit Rosen. Betty lebt alleine in ihrem großen Haus. Sie ist 73 Jahre alt. Ihr Mann ist tot. Sie hat nur noch ihren kleinen Hund. »Mr Pebble«. Herr Kieselstein.
Und sie hat ihre »Jungs«. »Es ist schrecklich, ganz schrecklich«, sagt Betty, als sie den Wasserkocher aufsetzt. Einer ihrer »Jungs« habe auf dem letzten Flüchtlingsboot, das von Indonesien nach Australien fahren wollte, seine ganze Familie gehabt. »Jetzt sitzen sie im Internierungslager. Aber wenigstens leben sie.« Die alte Frau hat Tränen in den Augen. Nicht vom Zigarettenrauch, der ihr übers Gesicht kriecht. Nicht nur von der Wut und von der Verzweiflung. »Von der Scham, Australierin zu sein«, sagt sie. Ihre schmächtigen Hände zittern.
Kein Thema, über
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