Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
1
Ich bin ein großer Fan der Tierwelt. Darum sehe ich im Fernsehen am liebsten Dokumentationen, in denen Löwen mit Krokodilen um das letzte Wasserloch kämpfen, Eisbären Robben reißen, Kakadus umeinander balzen oder der Schlammspringer, so ein merkwürdiges Hybridwesen, Löcher in seinen morastigen Lebensraum frisst.
Gerade beobachte ich in gestochen scharfen Bildern die Geburt von acht Stachelschweinbabys und bin zu gleichen Teilen gerührt wie angewidert.
Das pralle Leben flimmert über den Bildschirm, und ich hänge als blasses Gegenstück auf dem Sofa, zwirble meinen Schwanz und das Schamhaar, lutsche alte, hart gewordene Gummibärchen.
In dem Moment, als ein Leopard ein Gnu zerfleischt, läutet das Telefon, und ich bin richtig sauer und will es ignorieren. Aber ein kleiner Funke Gespanntheit lässt mich schließlich doch aufstehen und den Hörer abnehmen.
»Hallo.«
»Hallo Max, ich bin’s, Papa.«
Ich ziehe meine Hand so schnell aus der Hose, dass ich mir selbst einen leichten Kinnhaken verpasse. Ich muss mir unbedingt ein moderneres Telefon besorgen. Eine Rufnummernerkennung macht definitiv Sinn.
»Papa, hallo.«
»Was macht der Lehrer in den Ferien?«
Ich könnte versuchen, mich wieder zu verlieben, oder einfach nur so mit jemandem Sex haben. Ich könnte verreisen. Nach Neapel oder Wien oder Lissabon. Alles Städte, in denen ich noch nie war. Valentin sagt, dass das traurig ist.
Ich könnte die Nachbarjungs fragen, ob sie mich auch mal mit ihrer Gaspistole schießen lassen, zum Beispiel in ihre Stereoanlage, die mich jede zweite Nacht mit Dubstep in den Wahnsinn treibt. Ich könnte endlich kündigen, selbst Dubstep auflegen und die Nachbarn einladen, darauf hoffen, dass sie Freundinnen mitbringen würden. Freundinnen, mit denen man einfach so Sex haben könnte.
Ich könnte mich einfach mal bewegen.
»Nix eigentlich«, sage ich.
»Aha«, sagt mein Vater.
Wir räuspern uns beide und ich bemerke, dass meine Hand schon wieder in der Unterhose herumfummelt, ohne dass ich sie bewusst dahin gesteuert habe.
»Sonst geht’s dir aber gut?«
»Eigentlich schon, ja.«
»Eigentlich?«
»Es geht mir gut.«
Mein rechter Hoden kommt mir leicht vergrößert vor.
»Max?«
Wieder ziehe ich meine Hand aus der Unterhose und mache diesmal eine präventive Faust.
»Bist du noch dran?«
»Ja, bin noch dran … und Mama, wie geht’s der?«
»Der geht’s gut. Gießt gerade Blumen.«
Wir räuspern uns noch einmal, und ich ixe die Beine, schiebe die Hüfte nach vorne, ein Knacken im Rücken.
»Du hast also noch keine Pläne für den Sommer?«
»Nein, nichts Konkretes bis jetzt.«
»Das ist gut.«
»Wieso?«
»Also es ist so: Mama und ich wollen zwei Wochen wegfliegen, nach Kreta. Du müsstest solange auf Lio aufpassen.«
»Oh.«
»Ja, Brückners sind zur gleichen Zeit im Urlaub, und genau genommen ist es ja dein Hund.«
Ich starre in ein Staubnest zwischen den Kabeln am Boden.
»Maximilian?«
»Ja, Papa. Ab wann denn?«
»Nächsten Montag.«
»Okay.«
In seinem Hintergrund ruft meine Mutter, in meinem brüllt ein Leopard.
»Du bist ihr Schatz.«
»Ja.«
»Ich kann mich drauf verlassen?«
»Sicher.«
»Schön. Also, bis nächste Woche.«
»Bis nächste Woche, Papa.«
»Ach, und, Max …«
»Ja?«
»Der Fernseher ist viel zu laut.«
Meine Eltern wissen, dass nicht viel mit mir los ist. Normalerweise beunruhigt sie das, gerade sind sie wohl glücklich darüber. Ich stelle den Fernseher auf volle Lautstärke. Das Traben eines Nashorns wummert bis ins Mark.
2
Ich ziehe alle Stecker, gebe den Pflanzen frisches Wasser und schließe zweimal ab.
In der Straßenbahn stinkt es nach Pisse, Bierflaschen rollen in den Kurven über den Gang, ein verdrecktes Trikot ist um eine Haltestange geknotet.
Am Sielwall funkeln Scherben auf dem Kopfsteinpflaster, ein Fahrradkurier fährt quer über die Gleise.
Es ist nicht Valentin.
Der Straßenbahnfahrer klingelt ihm verärgert hinterher.
Der ICE rollt über flaches Land. In Niedersachsen halten wir auf einer Brücke, Signalstörung, eine Gruppe Kanuten winkt aus dem Strom nach oben.
Als ich zwischen Fulda und Hanau aus einem gekrümmten Schlaf erwache, schaue ich in die Augen eines popelnden Kindes. Es sitzt schräg gegenüber und isst den Schnodder. Sein Blick ist tief und böse.
Das Ende der Sommerferien macht mir Angst.
Frankfurt am Main und seine Hochhäuser rücken näher, ich schiebe die DVD in den Rechner: Jacques Cousteau steht am Bug
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