Weiter weg
mittelwestlichen Ebenen des Yin. Und der Mittelwesten ist wie das taufrische, romantische, hoffnungsvolle Auge des Yin im Zentrum von New Yorks brutalem, habgierigem Yang. Eine bestimmte Art von Mittelwestler geht an die Ostküste, um sich zu vervollkommnen, so wie ein bestimmter Typ New Yorker in den Mittelwesten geht, um neue Kräfte zu schöpfen.
Geologe von New York (State): Hm. Ganz schön tiefgründig. Und wissen Sie, was wirklich interessant ist – auch auf der Ebene der Geologie besteht eine Verbindung. Ich meine, überlegen Sie doch mal: New York State ist der einzige Staat an der Ostküste, der zugleich auf dem Gebiet der Großen Seen liegt. Glauben Sie, es war Zufall, dass der Erie-Kanal dort gegraben wurde, wo er ist? Sind Sie schon mal die Schnellstraße am Mohawk entlang nach Westen gefahren? In der Ferne, weit, weit weg, etliche Kilometer gen Süden hin, sieht man diese gewaltigen, schroffen Flussklippen. Und wissen Sie was? Diese Klippen waren früher mal die Ufer des Flusses. Damals, als er eine kilometerbreite verheerende Flut Gletscherschmelzwasser war, die aus dem Kontinent hervorbrach und zum Ozean abfloss. Das nämlich hat Ihren schönen Verbindungsweg in den Mittelwesten geschaffen: die Eiszeit.
JF: Die geologisch gesehen gerade erst stattgefunden hat, wenn ich richtig verstanden habe.
Geologe von New York (State): Gestern Nachmittag, geologisch gesehen. Es ist erst zehntausend Jahre her, dass im Bear Mountain State Park und in West Point Mastodonten und wollige Mammuts rumliefen. Es gab die verrücktesten Sachen – kalifornische Kondore oben bei Syracuse, Walrösser und Beluga-Wale an der kanadischen Grenze. Und all das erst vor kurzem. Mehr oder weniger gestern Nachmittag. Vor zwanzigtausend Jahren befand sich der gesamte Staat unter einer Eisdecke. Als das Eis sich allmählich zurückzog, in ganz Nordamerika, entstanden riesige Schmelzwasserseen, die nirgendwohin abfließen konnten. Und so stiegen und stiegen die Pegel, immer weiter, bis das Wasser einen katastrophischen Ausweg fand. Manchmal strömte es auf der westlichen Seite den Mississippi runter, aber manchmal traf es dort auf monumentale Eisdämme und musste sich einen Weg über den Osten bahnen. Und wenn ein Damm schließlich brach, dann brach er wirklich. Das war mehr als biblisch; das war ehrfurchtgebietend. Und es ist mitten im Bundesstaat New York passiert. Irgendwann führte der Ausweg für all das Wasser genau am heutigen Schenectady vorbei. Es formte die Klippen im Süden des Mohawk und das Hudson-Tal, ja sogar einen Canyon im Festlandsockel, der mehr als dreihundert Kilometer weit ins Meer hineinragt. Dann zog sich das Eis weiter und weiter gen Norden zurück, bis sich noch ein Ventil auftat: über die Gipfel der Adirondacks und um deren Ostseite herum hinunter zum Hudson, wo sich später der George-See und der Champlain-See bildeten. Was man heute vom Hudson sieht, ist also de facto ein naher Verwandter des Mississippi. Die beiden Flüsse waren die zwei wesentlichen südlichen Abflüsse für einen ganzen Kontinent geschmolzenen Eises.
JF: Da schwirrt einem ja der Kopf.
Geologe von New York (State): Der Kosmopolitanismus von New York City gründet, geologisch gesprochen, ebenfalls tief. Immerhin empfangen wir seit über einer halben Milliarde Jahren ausländische Gäste. Erwähnenswert hier vor allem der afrikanische Kontinent, der vor ungefähr dreihundert Millionen Jahren herüberkam, Amerika rammte, lange genug blieb, um die Allegheny Mountains aufzufalten, und wieder gen Osten abzog. Sehen Sie sich mal eine geologische Karte von New York an, sie erinnert stark an eine Karte der ethnischen Verteilung. Die felsige Geologie des Nordens ist fast uniform weiß – große Kalkablagerungen aus der Zeit, als New York ein flaches subtropisches Meer war. Aber weiter zum Hudson und zum Manhattan-Ausläufer hin werden die Felsformationen unglaublich heterogen, zerklüftet und fragmentiert. Man findet dort Überreste von allem möglichen Kram, der den Kontinent tektonisch gerammt hat, plus anderen Kram von diversen auf Grabenbrüche folgenden magmatischen Eruptionen, plus weiteren Kram, der von den Gletschern dorthin geschoben wurde. Im Süden sieht der Staat wie ein Schmelztiegel aus, in dem mal ordentlich umgerührt werden müsste. Und warum? Weil New York eben tatsächlich schon immer sehr zentral lag. Es liegt am äußersten südöstlichen Zipfel des ursprünglichen nordamerikanischen Schilds und am höchsten Punkt des
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