Weiter weg
(State): Wer hat Sie denn bitte zu Jeremy geschickt?
JF: Das war Mr. van Gander.
Geologe von New York (State): Ziemlicher Scherzkeks, dieser Rick van Gander. Ich bin übrigens Hal. Der Geologe. Hier draußen können wir etwas besser atmen. Möchten Sie ein Doughnut?
JF: Danke, nein. Ich möchte nur mein Interview machen. Dachte ich jedenfalls.
Geologe von New York (State): Klare Sache. ( Wählt. ) Janelle? Der Schriftsteller? Fragt wegen seines Interviews? … Okay, mach ich. ( Legt auf. ) Sie kommt und holt Sie ab. Wenn sie noch weiß, wo mein Büro ist. Kann ich Ihnen so lange irgendwie weiterhelfen?
JF: Danke. Ich fühle mich ein bisschen drangsaliert. Ich hatte die Vorstellung, dass ich mich mit New York in ein Café setzen und ihr erzählen könnte, wie sehr ich sie liebe und schon immer geliebt habe. Ganz informell, nur wir beide. Und dann wollte ich ihre Schönheit beschreiben.
Geologe von New York (State): Ha, so funktioniert das aber nicht mehr.
JF: Als ich sie zum ersten Mal sah, war ich ganz hingerissen davon, wie grün und üppig alles war. Der Taconic Parkway, der Palisades Parkway, der Hutchinson River Parkway. Es war wie im Märchen, diese wunderschönen alten Brücken und Kilometer um Kilometer Wald und Parklandschaft zu beiden Seiten. So völlig anders als die flachen Asphaltstraßen und Kornfelder, die ich von zu Hause kannte. Und wie groß das alles war, wie alt.
Geologe von New York (State): Sicher.
JF: Die jüngere Schwester meiner Mutter hat lange in Schenectady gelebt, mit meinen beiden Cousinen und ihrem Mann, der für General Electric arbeitete. Irgendwann, als ich noch zur Schule ging, wurde er von der Fertigung in Schenectady an den Hauptsitz des Unternehmens versetzt, nach Stamford, Connecticut. In den letzten Jahren seiner Karriere war er der Leiter des Teams, dessen Aufgabe es war, das neue Unternehmenslogo zu entwerfen. Es sah dann fast genauso aus wie das alte.
Geologe von New York (State): Schenectady steht nicht mehr so gut da. Genau wie alle anderen alten Industriestädte.
JF: Meine Tante und mein Onkel flüchteten ins pseudokünstlerische Westport. In dem Sommer, als ich siebzehn wurde, besuchten meine Eltern und ich sie dort. Und prompt verknallte ich mich wie verrückt in meine Cousine Martha. Sie war achtzehn, groß, witzig, lebhaft, und sie konnte schlecht gucken, und weil wir verwandt waren, konnte ich sogar halbwegs entspannt mit ihr reden. Und irgendwie kam es zustande – aus unerfindlichen Gründen gaben meine Eltern ihre Einwilligung dazu –, dass Martha und ich nach Manhattan fuhren und einen Tag allein dort verbrachten. Das war im August 1976. Heiß, modrig, pollenschwer, gewitterschwül, alles voller Unkraut. Martha arbeitete als Babysitterin und Chauffeurin von drei Westport-Mädchen, deren Vater für zwei Monate mit seiner Frau und seiner Geliebten nach Südamerika gefahren war. Die Mädchen waren sechzehn, vierzehn und elf, alle drei unglaublich dünn und besessen vom Thema Körpergewicht. Die mittlere spielte Flöte und war frühreif und drängte Martha andauernd, sie zu Schulpartys mitzunehmen, damit sie ältere Jungs kennenlernen könne. Martha chauffierte sie in einer riesengroßen schwarzen Limousine. Irgendwann hatte sie eine solche bereits zu Schrott gefahren und dann im Büro ihres Arbeitgebers anrufen müssen, um eine neue zu organisieren. Mit hoher Geschwindigkeit fegten wir auf der linken Spur den Merritt Parkway entlang, alle Fenster offen, sodass kochend heiße Luft durch den Wagen blies, die drei Prinzessinnen hinten auf der Rückbank mehr liegend als sitzend – die beiden Älteren, die gar nicht so viel jünger waren als ich, so süß, dass ich den Mund kaum aufbekam. Nicht dass sie auch nur das geringste Interesse an mir gezeigt hätten. Wir landeten auf der Upper East Side, beim Kunstmuseum; unweit davon hatte die Großmutter der Mädchen eine Wohnung. Am meisten beeindruckte mich, dass die Mittlere zu diesem Tagesausflug in die Stadt ohne Schuhe mitgekommen war. Ich sehe sie noch barfuß über den heißen Fifth-Avenue-Gehweg laufen, in ärmellosem Top und knappen Shorts, die Flöte in der Hand. Darin kam eine so selbstverständliche Anspruchshaltung zum Ausdruck, wie ich sie noch nie erlebt, ja mir nicht einmal hatte vorstellen können. Es war jenseits meines Horizonts und gleichzeitig absolut berauschend. Meine Eltern waren Mittelwestler durch und durch und gingen mit ewigen Entschuldigungen und dem Gegenteil einer Anspruchshaltung
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