Weiter weg
Mr. Purdys Welt ganz alltäglich. Bei ihm kann man Verzweiflung anprobieren und feststellen, dass sie einem besser passt, als man dachte. Selbst seine bizarrsten Figuren kommen mir nicht absonderlich vor. Eigenartigerweise kommen sie mir vor wie ich. In Die Preisgabe lese ich von Demütigungen und Inzest, von Selbsthass und Selbstzerstörung, und zwar mit demselben lebhaften, anteilnehmenden, moralisch gefestigten Interesse, mit dem ich bei Jane Austen von gelösten Verlobungen und verletzten Gefühlen lese. Wenn man einen Roman von Purdy beginnt, kann man sicher sein, dass er ganz und gar nicht gut enden wird. Purdys große Kunst besteht darin, die unaufhaltsame Entwicklung zur Katastrophe hin auf eine Weise zu erzählen, dass sie so befriedigend und irgendwie lebensbejahend ist wie eine Entwicklung, die auf ein Happy End zusteuert. Und wenn Purdy dem Leser schließlich – wie auf den letzten drei Seiten von Die Preisgabe – ein winziges Stückchen Hoffnung und Glück zuwirft, möchte man in Tränen der Dankbarkeit ausbrechen. Es ist, als wollte das Buch einem, allem Anschein zum Trotz, vor Augen führen, welch ein Wunder es ist, dass überhaupt jemals eine Liebe erfüllt wird, dass zwei Menschen, die zusammenpassen, überhaupt jemals zueinanderfinden. Man hat sich derart mit dem Desaster arrangiert, hat sich Purdys fatalistische Sicht der Dinge so sehr zu eigen gemacht, dass ein Augenblick ganz gewöhnlichen Friedens, ganz gewöhnlicher Freundlichkeit einem wie ein Akt göttlicher Gnade erscheint.
Man sollte Mr. Purdy nicht mit seinem verstorbenen Zeitgenossen William Burroughs oder dessen zahlreichen grenzüberschreitenden Nachfolgern verwechseln. Grenzüberschreitende Literatur richtet sich, sei es offen oder uneingestanden, immer an die bürgerliche Welt, von der sie abhängig ist. Als Leser grenzüberschreitender Literatur hat man zwei Möglichkeiten: Man ist entweder schockiert, oder aber man schockiert andere mit seiner Weigerung, schockiert zu sein. Mr. Purdys öffentliche Äußerungen zeugen von einer unversöhnlichen Feindschaft gegenüber der amerikanischen Gesellschaft, doch in seinen Romanen richtet er den Blick nach innen. Jedem einzelnen Satz in Die Preisgabe ist anzumerken, wie gleichgültig es dem Autor ist, ob irgendein Leser davon schockiert ist oder nicht. Der Antiheld des Buches – ein grausamer, arroganter, schnorrender bisexueller Dichter, der auf alten Zeitungen mit einem Kohlestift ein episches Gedicht über das moderne Amerika schreibt – ist ein obsessiver Leser der Briefe und Tagebücher anderer Menschen:
Anders als in kleinen Orten finden sich in Großstädten Durchreisende, … die ihre Briefe achtlos mit sich herumtragen und sie entweder verlieren oder wegwerfen. Die meisten Passanten würden es nicht der Mühe wert halten, sich zu bücken, um einen solchen Brief aufzuheben, da sie annehmen, dass der Inhalt sie keinesfalls interessieren oder gar fesseln könnte. Das traf bei Eustace nicht zu. Er vertiefte sich in fremde Briefe, deren Botschaften nicht für ihn bestimmt waren. Für ihn waren es Kostbarkeiten, die eine beredte Sprache führten. Es hätte ihm das Paradies auf Erden bedeutet, die Liebesbriefe eines jeden Briefschreibers zu lesen, ganz gleich, wie ungelenk, ungebildet oder primitiv sie waren – wenn es sich um einen wirklichen Liebesbrief handelte. Was die Jagd so aufregend machte, war, auf dieses eine seltene Juwel zu stoßen: die echte, nackte, unverstellte Stimme der Liebe.
Eustace wird schließlich so süchtig nach den wahren Lebensgeschichten anderer Menschen, dass er aufhört zu arbeiten und seine Aufmerksamkeit ganz und gar der zentralen Liebesgeschichte des Buches widmet, einer verrückten, unerfüllten Beziehung zwischen Daniel Haws, einem jungen ehemaligen Bergarbeiter, und Amos Ratliffe, einem schönen, blonden Jungen vom Land. Purdy ist unendlich viel größer und härter und proteischer als seine Figur Eustace – immerhin hat er sechsundvierzig Romane, Gedichtsammlungen und Dramen verfasst –, doch als Autor wird er offensichtlich von derselben hilflosen Faszination, derselben Identifikation mit menschlichem Leiden getrieben wie dieser. Ganz gleich, wie sehr Mr. Purdy von sich als Autor eingenommen ist, ganz gleich, wie sehr er sich in der Öffentlichkeit als harter Knochen geriert – wenn er sich daran macht, eine Geschichte zu erzählen, gelingt es ihm irgendwie, sein Ego an der Garderobe abzugeben und ganz und gar in seine Figuren
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