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Weiter weg

Weiter weg

Titel: Weiter weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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Zwangsarbeit in Sibirien büßte, verlieh den Romanen Verbrechen und Strafe und Die Dämonen ihre Stoßrichtung; seine Sinnlichkeit, sein zwanghaftes Wesen und sein bissiger Rationalismus waren die destabilisierenden Kräfte, zu deren Abwehr er die Festung Die Brüder Karamasow und kleinere Bastionen wie Der Spieler errichtete. Geschichten zu erschaffen, die stark genug waren, dem Ansturm des Materialismus standzuhalten, das war ihm patriotische Pflicht und persönliche Notwendigkeit zugleich.
    Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts hatte Dostojewski auf einer Reise durch das Rheintal seinen zwanghaften Hang zum Spiel entdeckt, und als er, wie bekannt, wenige Jahre später gezwungen war, in nur einem Monat einen Roman zu schreiben, war diese Erfahrung noch frisch. Weil Der Spieler so schnell niedergeschrieben wurde, vermittelt das Buch den skizzenhaften Eindruck von einem Schriftsteller, der sich mit dem inneren Abgrund auseinandersetzen muss, in den er beim Roulettespiel geblickt hat. Die Handlung setzt unvermittelt ein, die Spannung wird dadurch erzeugt, dass dem Leser entscheidende Informationen vorenthalten werden; hier und da scheinen sie sogar dem Autor vorenthalten worden zu sein. In einem Grand Hotel, das sich ausnimmt wie eine sehr unordentliche Traumszenerie, ist eine große Familie verzweifelter Russen mit einer Staffage aus aller Herren Länder abgestiegen. Der Erzähler Alexej Iwanowitsch, Hauslehrer der jüngeren Kinder der Familie, ist hoffnungslos, wenn auch irgendwie nicht ganz überzeugend verliebt in Polina, eine der älteren Töchter, deren Loyalitäten und Motive bis zum Ende undurchsichtig bleiben. Alexej Iwanowitschs amouröse Nöte sind, ebenso wie die finanziellen Schwierigkeiten der Familie, im Grunde ganz gewöhnliche Themen eines Romans des 19. Jahrhunderts. Wirklich lebendig, klar und zwingend sind jedoch die Szenen im Spielcasino. Der Stoizismus der spielenden Herren der Gesellschaft, die Bösartigkeit der polnischen Zuschauer, die Anziehungskraft der «gierigen Verkommenheit» seiner Mitspieler, die Alexej Iwanowitsch spürt, das Fieber, in dem er die Selbstbeherrschung verliert und gedankenlos, ja automatisch einen Einsatz nach dem anderen platziert, der allgemeine Taumel und die Zeitenthobenheit des Casinos – all das wird genüsslich beschrieben. In Der Spieler wie in all seinen späteren Werken zeichnet Dostojewski den Nihilismus beinahe zu positiv. Eine reiche alte russische Dame nimmt am Roulettetisch Platz, und bald sind ihr Vermögen und das enorme narrative Potenzial, das es darstellt – man könnte damit Kirchen, die Unabhängigkeit einer Enkeltochter, den Gehorsam eines Neffen kaufen –, in einen Haufen vollkommen abstrakter, mit Leichtigkeit verschleuderter Jetons verwandelt. Von der alten Dame heißt es: «Äußerlich zitterte sie nicht einmal mehr … sie zitterte, wenn man so sagen darf, innerlich»; die Welt ist zurückgewichen; es gibt nur noch den Spieltisch. Ähnlich ergeht es Alexej Iwanowitsch, als er aufhört, mit Polinas Geld zu spielen, und ins Casino geht, um seine eigenen Mittel einzusetzen: Er ist auf der Stelle von seiner verzweifelten Liebe zu Polina befreit, die ihn bis dahin Tag und Nacht beschäftigt hat. Was ihn ins Casino treibt, ist eben diese Liebe, sein Wunsch, Polina zu retten, doch sobald die Sucht Besitz von ihm ergriffen hat, gibt es nur noch eine einzige Art von Spannung und keine Geschichte mehr:
    Doch fast gar nicht mehr erinnerte ich mich an das, was mir Polina gesagt hatte und warum ich aufgebrochen war, und all die Empfindungen, die ich erst vor anderthalb Stunden durchlebt hatte, erschienen mir jetzt schon als etwas längst Vergangenes, Überwundenes, Veraltetes …
    Und das Buch selbst setzt um, was es beschreibt. Das Gefüge eines Romans aus dem 19. Jahrhundert, in dem es darum geht, ob General S. in den Besitz seines Erbes kommen wird und inwiefern sich der französische Nationalcharakter vom englischen unterscheidet und wen die schöne, junge Polina heimlich liebt, wird von der modernen Geschichte einer Sucht hinweggefegt.
    Am Ende des Romans ist Alexej Iwanowitsch noch immer im Rheintal; sein Taumel weicht der Reue und dem Selbsthass, doch ist dies nur ein Vorspiel für den nächsten Taumel. Alexej Iwanowitschs Schöpfer dagegen floh aus Deutschland und schrieb in rascher Folge Aufzeichnungen aus dem Kellerloch und Verbrechen und Strafe . Für Dostojewski – und seine literarischen Nachfolger wie Denis Johnson, David

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