Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Außerdem hatte der Gedanke an die harte Arbeit und das magere Essen seinen Reiz für ihn verloren.
» Dann bleiben wir also?«
» Du nörgelst seit dem ersten Monat ständig herum, Charlie. Zuerst warst du seekrank, dann hat dir Melbourne nicht gefallen. Du wolltest unbedingt hierhin, aber du hast dich nur beschwert. Und jetzt sage ich, wir gehen weg, und du widersprichst mir schon wieder. Du wärst besser gar nicht mitgekommen.«
» Du wärst besser gar nicht gegangen. Was hätte ich denn tun sollen?« Charlie verzog missmutig das Gesicht.
Ihre Auseinandersetzungen endeten unweigerlich beim Beginn ihres Abenteuers. » Dein eigenes Leben leben«, erwiderte Hamish und verzog das Gesicht, als Fett aus der Pfanne auf seinen Handrücken spritzte.
» Mit wem denn? Sie waren doch alle tot, Hamish«, sagte Charlie traurig. » Fünf Steinsäulen am Ufer des Loch.«
» Du hättest ja bei deinem Vater bleiben können.«
» Er ist auch dein Vater«, erwiderte Charlie leise.
» Ich kenne ihn nicht mehr. Ich habe meine Entscheidung getroffen, Junge«, knurrte er. » Wenn ich es sage, brechen wir auf.« Er hätte seinen Bruder gerne daran erinnert, dass er ihn nicht aufgefordert hatte, mit ihm auf diese Reise zu gehen.
» Du hättest Mary nicht über deine eigene Familie stellen dürfen, und du hättest mich auch nicht zwingen dürfen, Partei zu ergreifen.«
Hamish schnitt mit seinem Messer ein Stück Fleisch ab. » Erstens hat dich niemand gebeten, Partei zu ergreifen, und zweitens erwähn ihren Namen nie wieder.«
Charlie blickte auf die Goldfelder, die langsam zum Leben erwachten. Bei dem Gedanken an einen weiteren Arbeitstag zuckte er zusammen. Er wäre besser in Melbourne geblieben. Die Arbeit dort war gut, und Waren einräumen und Holz hacken konnte er bewältigen. » Ich hätte dir besser erzählt, was ich an jenem Nachmittag gesehen habe«, sagte er.
Hamish warf ihm einen finsteren Blick zu. Seine Lippen waren fettig vom Fleisch. » Ja, das hättest du besser.«
Herbst, 1983
West Wangallon Farm
Sarah öffnete die Jalousietüren auf die Veranda und trat aus ihrem Schlafzimmer. Hinter den Bäumen am Horizont ging gerade die Sonne auf. Während sie geduldig darauf wartete, dass die ersten Strahlen das Haus erreichten, flog ein Schwarm Sittiche über sie hinweg. Sie folgte den leuchtend bunten Vögeln mit den Blicken, bis sie sich kreischend auf einem Eukalyptusbaum am Ende des Gartens niederließen. Ihre Mutter würde wahrscheinlich nicht begeistert sein, dass sie wieder da waren. Vor zwölf Monaten hatten sie Sues Lieblingsbaum vor dem Küchenfenster vollständig entlaubt, und sie war entschlossen, sie umzubringen, sollten sie jemals zurückkehren. Sarah legte den Finger an die Lippen, um die Vögel zum Schweigen zu bringen. Sie würden sie für immer an den Tag erinnern, als sie erfahren hatte, dass auf Wangallon ein neuer Cowboy eingestellt worden war.
Lächelnd atmete sie die feuchte Morgenluft ein und schaute zu den Weiden, auf denen die Merinoschafe grasten.
Die Sonne stieg höher, und der rosige Streifen am Horizont ging in Rot und kräftiges Blau über. Auch die Gerüche veränderten sich leicht. Sarah erinnerten sie an einen Korb voll mit Blumen, Gräsern und Kräutern. Ein würziges Potpourri von Düften, das an Intensität zunahm, wenn der neue Tag erwachte. Diesen Augenblick liebte sie am meisten, noch mehr als den Sonnenuntergang, wenn die Tiere sich zur Ruhe legten und die Schatten länger wurden. Die majestätische Beständigkeit des Buschs entzückte sie jeden Tag aufs Neue.
In ihrer Familie jedoch konnte von Beständigkeit keine Rede sein. Sarah trat wieder in ihr Schlafzimmer. Sie schlüpfte in eine gelbe Bluse und in Bluejeans, und ohne in den Spiegel zu schauen, band sie ihre Haare hinten zu einem Pferdeschwanz zusammen. Nachdem ihr Großvater im letzten Jahr seine Erklärung abgegeben hatte, hatte Sarah erwartet, dass sich das Verhalten der Farmbewohner änderte, aber es blieb alles beim Alten. Ihr Großvater wurde eher noch dominanter. In gewisser Weise war Sarah erleichtert. Cameron war immer noch derselbe wie früher, verlässlich und lustig. Aber es ärgerte sie auch, dass Cameron sein Leben so gar nicht änderte, obwohl er doch der offizielle Erbe war. Sie machte sich langsam Sorgen darüber, ob er die Verantwortung ernst genug nahm, denn sie an seiner Stelle hätte nicht einfach so weiterleben können. Natürlich redete Cameron ständig davon, dass er sich die Führung von
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