Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
einen hellrosa Lippenstift, und sie war sich in der Stadt heute sehr schick vorgekommen.
Sie öffnete die Tür weit, damit er eintreten konnte. » Eigentlich eher ein Tag für Maschinenteile«, sagte sie. » Hydraulikschlauch, Gummidichtungen…«
Anthony nickte. » Für den Traktor.«
» Motoröl, Schmierfettkartuschen, eine Zwölfvolt-Autobatterie«, fuhr Sarah fort und verdrehte die Augen.
Anthony schüttelte den Kopf. » Was, nichts Gutes?«
» Nichts. Oh, doch, Mum hat ein paar Dinge für sich und eine Topfpflanze gekauft. Und ich habe mir einen neuen Film für meine Kamera gekauft.«
» Wenn du alle Fotos, die du gemacht hast, entwickeln lässt, bist du pleite.«
Er hatte recht. Seitdem sie letztes Jahr den Fotoapparat zum Geburtstag bekommen hatte, hatte sie massenweise Fotos geschossen, von denen allerdings die meisten im Abfalleimer gelandet waren.
» Bist du an den heruntergesetzten Sachen jetzt nach Weihnachten nicht interessiert?«
» Nein, eigentlich nicht.« Ihr Mund war ein wenig trocken.
Anthony legte den Kopf schief. » Es sollte mehr Frauen wie dich geben, Sarah.«
Sarah spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. » Ja, klar.« Das verlegene Schweigen, das eintrat, wurde von der Stimme ihrer Mutter unterbrochen, die wissen wollte, wo die getrockneten Erbsen wären.
» Spezialität zum Abendessen?«, fragte Anthony.
Sarah nickte. » In der Speisekammer, Mum«, rief sie über die Schulter.
» Na ja. Ich wollte dir nur das hier geben. Frohe Weihnachten.«
Sarah nahm das kleine, in rotes Seidenpapier eingepackte Geschenk entgegen. » Anthony, du brauchst mir doch nichts zu schenken.« Sie hatte ihm kein Weihnachtsgeschenk gekauft. Er war über die Feiertage zwei Wochen bei seiner Familie gewesen, und sie hatte zwar mehr als einmal daran gedacht, ihm etwas zu schenken, hatte sich aber letztlich dagegen entschieden, weil er ja so spät erst wiederkam.
» Ich wollte dir aber gerne etwas schenken, auch wenn es schon ein bisschen spät ist.«
Sarah drückte das kleine, weiche Päckchen zwischen ihren Finger. » Nein, das ist es nicht.«
Anthony zog eine Augenbraue hoch. » Na ja, wir haben schon die dritte Januarwoche. Und? Willst du es nicht aufmachen?«
» Sarah, räumst du weiter die Einkäufe in die Speisekammer?«
» Ja, Mum«, antwortete sie. Rasch riss sie das Seidenpapier auf. Ein hellblauer Seidenschal kam zum Vorschein. » Oh, ist der schön!«
Er steckte die Hände in die Taschen seiner Bluejeans. » Ich hoffe, er gefällt dir.«
» Ja, ich finde ihn toll.«
» Gut.«
» Danke.«
Anthony lächelte. Er zog seinen Hut ein bisschen mehr in die Stirn und ging wieder. Sarah schaute ihm nach.
» Bis dann«, rief er über die Schulter.
» Okay.« Sarah ließ den Schal durch ihre Finger gleiten. Ihr wurde ganz warm ums Herz.
Frühling, 1857
Die Goldfelder von Victoria
Seit es wärmer geworden war, hatte Hamish sich angewöhnt, draußen zu schlafen. Jetzt legte er sich in die weiche, sandige Grube. Ein paar Meter entfernt knisterten die letzten Scheite des Lagerfeuers, und dahinter sah man in der Dunkelheit die Umrisse eines Zelts. Er zog sich die raue Decke bis ans stoppelige Kinn und ließ sich vom warmen Sand seinen ständig schmerzenden Rücken wärmen. Nach und nach entspannten sich seine Muskeln von den Mühen des Tages. Er gähnte laut; ein Geräusch, das ihm so vertraut war wie das Zucken seines Körpers, wenn sich die Verkrampfungen lösten. Kurz bevor er einschlief, dachte er noch einmal über den Tag nach.
Der Bach hatte sich als nutzlos erwiesen. In den letzten zehn Tagen hatten sich nur geringe Mengen an Goldstaub in ihren Sieben verfangen. Zwar reichte es aus, damit er und Charlie etwas zu essen hatten, aber damit gab Hamish sich nicht zufrieden. Er reiste doch nicht ans andere Ende der Welt, nur um solche winzigen Fetzen zu finden, und mehr gaben die Goldfelder nicht her. Hamish grunzte, drehte sich auf die Seite und drückte seine Hüfte in die Erde, die ihn eigentlich reich machen sollte. Eine Chance würde er diesem Ort noch geben, dachte er, ein letzter Versuch, bevor er weiterzog. Wenn er sich in diesem neuen Land niederlassen wollte, musste er jede Möglichkeit ausprobieren.
Er griff mit den Fingern in die Erde, und sofort war er wieder an Marys Seite. Mit strahlendem Lächeln wandte sie sich zu ihm, und er küsste sie. Vorwitzige Strähnen ihrer roten Haare kitzelten sein Gesicht. Ihr Liebreiz hatte ihn für alles andere blind gemacht und sein Leben
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