Welten - Roman
eine Rassistin zu nennen! Mit der klaren Absicht, sie zu beleidigen. Und schlimmer noch, eine alte Rassistin!
Und jetzt musste sie sich auch noch mit diesem anrüchigen und offenbar unverwüstlichen kleinen Oh treffen, falls er sich im Augenblick nicht irgendwie anders nannte. Wenigstens hatten sie sich anderswo verabredet, und sie hatte nicht seine Anwesenheit im Haus zu ertragen. Er machte immer einen unsauberen Eindruck. Jedenfalls kam das Treffen keinen Augenblick zu früh, wenn sogar schon die Mulverhill Gerüchte gehört hatte. Madame d’Ortolan lächelte still vor sich hin. Den Rat spalten? Nun, wenn ihr nicht mehr zu Ohren gekommen war!
»Ich werde euch schon zeigen, was spalten heißt«, murmelte sie vor sich hin.
Sie schob die weiße Katze namens M. Pamplemousse vom Schoß und zupfte den cremefarbenen Rock zurecht, als sie sich erhob. Madame d’Ortolan favorisierte ihre verschiedenen Katzen je nach der Farbe der Kleider, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt anhatte. Hätte sie Dunkelgrau oder Schwarz getragen, hätte sich die schwarzhaarige Katze Mme. Frenolle auf ihrem Schoß wärmen dürfen. Allerdings vielleicht nicht mehr lange. Mme. Frenolle war inzwischen acht Jahre alt, und in jüngster Zeit hatten sich in ihrem schwarzen Fell unerfreulicherweise weiße Haare gezeigt. Je nachdem, wie sie sich in den nächsten ein, zwei Wochen benahm, musste Mme. Frenolle entweder regelmäßige
Besuche im Maison Chat über sich ergehen und sich die weißen Haare auszupfen oder färben lassen, oder sie wurde ertränkt.
Madame d’Ortolan schmeichelte sich, eine elegante Erscheinung in mittleren Jahren zu sein, was allerdings den flüchtigen Beobachter zu der Vermutung bewegt hätte, dass sie hundertzwanzig Jahre alt zu werden gedachte. Aber natürlich hätte dies angesichts dessen, was sie war, als durchaus vernünftige Erwartung gelten dürfen - wenn die Wahrheit nicht noch viel komplizierter gewesen wäre.
Sie benutzte das Haustelefon. »Mr. Kleist, wenn ich bitten darf.«
Ungefähr eine Minute später erschien der Gentleman dieses Namens, eine blasse, leicht gebückte Gestalt, die trotz des geschmackvollen, konservativ geschnittenen, dreiteiligen grauen Anzugs einen irgendwie schäbigen Eindruck machte. Er schien ungefähr im gleichen Alter wie seine Arbeitgeberin, doch der soeben zur Beurteilung des Aussehens der Dame eingeführte neutrale Beobachter hätte vielleicht nach einem zweiten Blick festgestellt, dass er in Wirklichkeit mindestens zehn Jahre jünger war und nur sehr verbraucht wirkte.
Er trat heran und blinzelte in das dunstige Sonnenlicht in der Orangerie. »Madame.«
»Mrs. Mulverhill«, erklärte sie, »nähert sich rasch einem Stadium, in dem sie meine Absichten noch vor mir erkennt.«
Mr. Kleist seufzte. »Die Suche nach ihr ist in vollem Gange, Madame, und auch die nach ihren Informanten.«
»Das bezweifle ich nicht. Aber allmählich müssen wir handeln.« Sie blickte zu ihm auf. Mr. Kleist schaffte es, selbst bei hellstem Sonnenlicht konturlos zu erscheinen.
Bestimmt schleppte er seine eigenen Schatten mit sich herum. »Ich bin heute mit Mr. Oh verabredet«, eröffnete sie ihm, »und zwar, wie ich soeben beschlossen habe, zum letzten Mal. Wir haben ihm alles mit auf den Weg gegeben, was in unseren Kräften stand. Falls Sie verstehen, was ich meine.«
»Ja, Madame.«
»Und wir werden alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass seine Arbeit fortgesetzt wird, sobald er selbst nicht mehr dazu imstande ist.«
»Ich schreibe gleich die Befehle fertig.«
»Ich breche in zehn Minuten auf.«
»Das wird genügen, Madame.«
»Danke, Mr. Kleist.« Sie lächelte ihm zu. »Das wäre alles.«
Nachdem Mr. Kleist verschwunden war, blieb Madame d’Ortolan noch eine Weile sitzen und starrte ins Nichts, während sie mit einem hohlen Geräusch ihre langen rosafarbenen Nägel gegeneinanderklicken ließ. Als M. Pamplemousse wieder auf ihren Schoß hüpfte, schrak sie auf und stieß den Kater weg, der fauchend davonsprang.
Sie verständigte den Chauffeur, verließ die Orangerie, machte sich im unteren Boudoir frisch, sammelte bei dem effizienten Mr. Kleist die Befehle für den anrüchigen Mr. Oh ein, als sie durch den Gang schritt, und ließ sich dann von ihrem zweitattraktivsten ägyptischen Diener die Jacke über die Schulter legen, ehe sie im Wagen Platz nahm und Christophe anwies, sie zum Café Atlantique zu bringen.
Das Auto beschrieb eine Kehre auf dem bogenförmigen
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