Weltraumpartisanen 26: Ikarus, Ikarus...
die entscheidende Schlacht mußte erst noch geschlagen werden.
Meine Gedanken eilten meiner Bewegung voraus; ich legte den Finger auf die Karte: dorthin, wo sich der Düsenschacht des ikarischen Triebwerks abzeichnete.
„Um das Problem auf die Schnelle zu lösen, Gentlemen“, sagte ich, „gibt es nur einen Weg, diesen: Man muß unser Schiff dem Ikarus in seinen dicken Hintern rammen.“
19. Bericht des 1. UGzRR- Vormannes Mark Brandis
Der Sinn des Lebens, hatte mir einmal ein Lehrer gesagt, ist der, den du selbst deinem Leben gibst. Und indem du deinem Leben Sinn gibst, gibst du dem Leben an sich seinen Sinn. An diese Worte mußte ich plötzlich denken, als ich vor der Schleuse die letzten Vorbereitungen für den Ausstieg traf. Und mein Lehrer hatte auch gesagt: Der Sinn des Lebens ist nie eine Frage. Er ist stets die Antwort. Der Lehrer war ein gestandener Mann gewesen, kein Frömmler, kein weltfremder Philosoph. Warum mußte ich plötzlich an ihn denken - an ihn und an das, was er mir mit auf den Weg gegeben hatte?
Die Schleuse zeigte bläuliche Verfärbungen. Auf dieser oberen ikarischen Sohle, gegen die Temperaturen, die auf die Oberfläche des Planetoiden einwirkten, nur durch einen dünnen Gesteinsmantel abgeschirmt, war es bereits so heiß wie in einem tropischen Gewächshaus.
Minkowski half mir beim Anlegen der Kombination. Lieutenant Stroganow war schon fix und fertig angekleidet und stülpte nun ächzend über alles den unförmigen Asbestanzug aus dem Arsenal der Feuerwehr.
„Muß das sein, Sir?“
„Sie könnten’s natürlich auch mit Bratfett versuchen, Lieutenant.“
„Besser nicht, Sir. Dann schon lieber diesen mittelalterlichen Harnisch!“
Der „mittelalterliche Harnisch“ war eigens dafür entwickelt, eventuelle Treibstoffbrände aus unmittelbarer Nähe zu bekämpfen.
„Wenigstens eins steht fest, Sir“, stöhnte der Sibiriak, „über kalte Füße wird heute keiner zu klagen haben.“
„Weder über kalte Füße noch über Mangel an Bewegung, Lieutenant“, erwiderte ich. „Wir werden um unser Leben laufen müssen.“
Falls wir uns zum Schiff durchschlagen wollten, mußten wir uns beeilen. Die Zeit hielt es mit der Sonne; sie arbeitete gegen uns: von Minute zu Minute, von Hitzegrad zu Hitzegrad. Die Zeit und der anliegende Kurs…
Der einzige Weg zur abgestellten SM 1 führte über das offene Gelände. Unter normalen kosmischen Bedingungen war das nicht weiter problematisch - auf unserem autonomen UGzRR-Territorium vor den Toren der lunaren Lastermetropole Las Lunas war man nicht besser dran -, aber die Ereignisse hatten die Normalität außer Kraft gesetzt. Auf dem Gelände ging es zu wie im Krater eines aktiven Vulkans.
Als ich mich in den feuerfesten Schutzanzug zwängte, begann ich meinen Navigator zu verstehen. Ich kam mir vor wie eine bandagierte ägyptische Mumie.
Minkowski kniete vor mir nieder und reichte mir die Schuhe. Sie waren ebenso feuerfest wie die ganze übrige geblähte Hülle: feuerfest und klobig und schwer wie Blei. Ich bewegte die Füße, um sie an die Last zu gewöhnen. Die Feuerwehrleute mußten Waden wie die Fußballer haben, um mit den Dingern zurechtzukommen.
„Wie steht’s mit Ihnen, Lieutenant?“
Der Sibiriak klappte sein Visier zu. Seine Antwort erreichte mich auf dem kurzen Funkweg von Helm zu Helm.
„Ich bin klar, Sir.“
Seine Stimme, ruhig und gefaßt wie immer, des fernen Ostens wohlklingenden Baß, empfand ich wie einen Händedruck. Iwan Stroganow an meiner Seite zu wissen: das war schon der halbe Erfolg. Was vor uns lag, war kein Ein-Mann-Job. Falls einer von uns ausfiel - und damit war zu rechnen - mußte der andere da sein: nicht nur entschlossen, sondern auch befähigt, das Werk zu Ende zu führen. Bevor wir den Schaltraum verließen, hatten wir vor der ikarischen Übersichtskarte die Einzelheiten des Manövers festgelegt.
Minkowski blieb auf dem Ikarus zurück: als dessen Kommandant und Steuermann. In den letzten Stunden hatte er so weit wie möglich den ASTROMATEN vorprogrammiert. Der Zeitpunkt und die Intensität des Energiestoßes waren festgelegt.
Ich zeigte ihm den abgespreizten Daumen, und er hieb mir auf die Schulter.
„Hals- und Beinbruch, Mark!“
Ich las es von seinen Lippen ab. Und die Antwort konnte ich mir sparen. Zwischen Jan Minkowski und uns war, als die Helmvisiere einrasteten, die Verbindung abgebrochen.
Gefolgt von Lieutenant Stroganow, zwängte ich mich in die Schleuse. Hinter uns fuhr der
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