Wen das Grab ruft
helle Spritzer wie kleine Diamanten hochspringen. Kreisrunde Wellen breiteten sich aus und rollten auch dem Ufer entgegen. Eine andere Reaktion bekam ich nicht. Ich schaute dem Auslaufen der Wellen zu und dachte intensiv darüber nach, ob ich nicht Bills Vorschlag folgen sollte und wir uns Stangen holten, um den Tümpel abzusuchen.
Das brauchte ich nicht mehr, denn plötzlich - die Wellen waren soeben ausgelaufen - tat sich etwas. Unruhe entstand.
Unter der Wasseroberfläche begann es. Da geriet irgend etwas in Bewegung, denn ich sah die schaukelnden Wellen gegen das Ufer anrollen.
Mein Stein konnte sie nicht verursacht haben, er lag längst auf dem Grund. Aber wer dann?
Ich schaute sehr genau hin. Aus den Wellen wurde ein leichtes Schäumen, das sich auf eine bestimmte Stelle nahe der Tümpelmitte konzentrierte, denn dort befand sich das Zentrum. Möglicherweise hatten Bill und Suko auch etwas bemerkt, Sie hielten sich zurück, auch ich achtete nicht auf die Reaktionen meiner Freunde und wartete gespannt ab. Dabei stand ich so dicht am Ufer des Tümpels, dass die auslaufenden Wellen fast meine Schuhspitze berührten. Jetzt schäumte das Wasser sogar. Die kleinen und größeren Bläschen wirkten auf mich wie aus dem Maul eines Ungeheuers ausgestoßener Speichel. So hell und brodelnd, dabei immer wieder zerplatzend. Und dann kam er. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, wobei sich meine Augen weiteten. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit dem, was da aus der Tiefe des Tümpels an die Oberfläche kam. Das war eine Gestalt wie aus einem Alptraum…
***
Ellen Long hatte ihren Mann Kevin gehen lassen. Was hätte sie auch anders tun sollen? Kevin gehörte zu den Typen, die sich nichts sagen ließen. Sie wollte sich nicht über ihn beschweren, nein, er war ein prima Kerl, sorgte für sie und die beiden Kinder und hatte es auch geschafft, durch viel Arbeit zu einem kleinen Haus zu kommen, das die Familie seit zwei Jahren bewohnte. Aber so wie an diesem Abend hatte er noch nie reagiert.
Jeder Mensch, der arbeitet, hat auch mal das Recht, auszuflippen, das war nicht weiter tragisch, und so etwas gestand Ellen auch ihrem Mann zu, aber in dieser Weise auszuflippen, war nicht seine Art. Wenn er mit dem Fahrrad in den Pub fuhr, dann sagte er das jedesmal und hatte dabei noch einen Scherz auf den Lippen, aber die Antwort auf ihre Frage hatte Ellen sehr erschreckt.
In sein Grab wollte er gehen…
Ellen schüttelte sich, als sie daran dachte. Sie saß noch immer an dem kleinen Küchentisch und hatte beide Hände gegen ihre Wangen gelegt. Als Scherz wollte sie die Antwort nicht ansehen, dazu hatte sie einfach zu ernst geklungen.
Hinzu kam noch etwas. Ellen hatte sich geweigert, es zu akzeptieren. Als es immer stärker wurde, war sie nicht darum herumgekommen, sich dennoch damit zu beschäftigen. Dafür gab es einen Begriff. Todessehnsucht…
Genau das war es. Ellen hatte, bevor sie ihren Mann kennen lernte, einige Semester studiert und das Studium dann abgebrochen. Psychologie gehörte zu ihren Fächern. Jetzt erinnerte sich die Frau wieder daran, was der alte Professor damals über das Thema referiert hatte. Es gab tatsächlich Menschen, die eine gewisse Sehnsucht nach dem Tod besaßen. Besonders in der letzten Zeit war diese Art von Sehnsucht unnatürlich stark geworden.
Das mochte mit der Kälte und der Unmenschlichkeit mancher Gesellschaftsschichten zusammenhängen und auch mit den zahlreichen Veröffentlichungen, die in den letzten Jahren unter dem Titel Gespräche mit Toten - aus dem Jenseits zurück erschienen waren. Und alle Menschen, die in den Büchern von ihren Erlebnissen berichteten, hatten den Sprung vom Diesseits zum Jenseits stets positiv gesehen. Als Quelle eines neuen Lebens, in dem das alte, zurückliegende nur mehr für sie ein Scherbenhaufen war, trotz Familie und Geborgenheit. Die Bücher hatten hohe Auflagen erreicht, waren von zahlreichen Menschen gelesen worden und hatten wegen ihrer positiven Tendenz einen nicht unbeträchtlichen Eindruck bei den Lesern hinterlassen. Viele kamen mit dem Leben nicht mehr zurecht. Man suggerierte ihnen eine schöne, bessere Welt ein, und da war es praktisch eine Folge, dass die Todessehnsucht immer stärker wurde.
Wie bei Kevin…
Vor einigen Wochen hatte es begonnen. An einem Abend sprach er davon. Zunächst hatte Ellen nicht zugehört, bis sie aufmerksam wurde, denn Kevin wollte einfach nicht aufhören. »Es muss doch toll sein, den Tod zu
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