Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
bis ans Kinn hochgezogen, die Hände noch immer hinter dem Rücken gefesselt, und hatte sich gewünscht, er hätte weinen können. Hatte sich gewünscht, es hätte etwas gegeben, das diese grauenvolle Last von seinem Herzen hätte nehmen können.
    Neeve hatte ihm einen Blick zugeworfen und beschlossen, dass er sich vor seinem bevorstehenden Tod fürchten musste. »Ach«, hatte sie sanft gesagt, »nun machen Sie sich mal keine Gedanken. Es wird nicht sehr wehtun.« Sie hatte kurz über das Gesagte nachgedacht und sich dann korrigiert: »Zumindest nicht allzu lange.«
    »Wie wollen Sie mich denn töten? Wie funktioniert dieses Ritual?«
    Neeve hatte ihn stirnrunzelnd angesehen. »Das ist keine leichte Frage. Als würden Sie einen Künstler fragen, warum er welche Farben benutzt. Manchmal ist es kein Prozess, sondern mehr ein Gefühl.«
    »Na schön«, hatte Whelk erwidert. »Und was sagt Ihnen Ihr Gefühl?«
    Neeve hatte einen perfekt geformten, malvenfarben lackierten Fingernagel an die Lippen gehoben, während sie ihr Werk betrachtet hatte. »Ich habe ein Pentagramm erstellt. Diese Form eignet sich hervorragend für die unterschiedlichsten Zauber und hat mir bisher gute Dienste geleistet. Andere mögen sie vielleicht als zu große Herausforderung oder Einschränkung empfinden, aber ich war stets zufrieden damit. Ich habe eine brennende Kerze, die Energie verströmt, und eine nicht brennende, um mehr Energie zu erbitten. Ich habe eine gefüllte Schale, um in die andere Welt sehen zu können, und eine leere, die die andere Welt füllen kann. Ich habe die gekreuzten Beinknochen dreier Raben, die ich selbst getötet habe, um dem Leichenweg die Natur des Zaubers aufzuzeigen, den ich anwenden werde. Und dann, denke ich, werde ich Sie in der Mitte des Pentagramms ausbluten lassen und die Ley-Linie so zum Erwachen bringen.«
    Sie hatte Whelk argwöhnisch angestarrt und noch hinzugefügt: »Vielleicht improvisiere ich währenddessen aber auch ein bisschen. Bei so etwas muss man flexibel bleiben. Normalerweise interessieren sich die Leute nicht so sehr für die Einzelheiten meiner Arbeit, Barrington.«
    »Oh, ich bin sehr interessiert«, hatte er gesagt. »Manchmal ist der Prozess das Spannendste an der ganzen Sache.«
    Als sie ihm den Rücken zugekehrt hatte, um ihre Messer hervorzuholen, hatte er die Fesseln von seinen Händen gestreift. Dann hatte er sich einen herabgefallenen Ast gesucht und ihn mit so viel Kraft, wie er hatte aufbringen können, auf ihren Kopf niederkrachen lassen. Er hatte nicht geglaubt, dass der Ast dazu taugte, sie umzubringen, denn er war noch grün und einigermaßen nachgiebig gewesen, aber er hatte sie zumindest auf die Knie gebracht.
    Neeve hatte gestöhnt und benommen den Kopf geschüttelt, also hatte Whelk zur Sicherheit noch einmal zugeschlagen. Dann hatte er sie mit dem Seil gefesselt, dessen er sich gerade erst entledigt hatte – er hatte aus ihren Fehlern gelernt und zog die Knoten fest an –, und die halb bewusstlose Frau in die Mitte des Pentagramms geschleift.
    Dann hatte er den Blick gehoben und sich Adam Parrish gegenübergesehen.
    Zum ersten Mal hatte Blue das Gefühl, es könnte ernsthaft gefährlich werden, in Cabeswater zu sein – gefährlich, weil sie alles lauter machte. Stärker. Schon als sie den Wald erreichten, fühlte sich die Nachtluft an wie elektrisch aufgeladen. Der Regen hatte sich zu einem unregelmäßigen Nieseln verringert. Diese Kombination aus unheilvoller Spannung und Regen hatte Blue einen besorgten Blick in Ganseys Richtung werfen lassen, der gerade aus dem Auto stieg, doch seine Schultern waren kaum feucht und er trug auch nicht seine Aglionby-Uniform. Als er ihr bei der Kirchenwache erschienen war, hatte er definitiv seinen Rabenpullover angehabt und seine Schultern waren nasser gewesen. Sicher konnte sie seine Zukunft doch nicht so sehr verändert haben, dass dies die Nacht war, in der er starb, oder? Sicher war es ihr vorherbestimmt gewesen, ihn kennenzulernen, schließlich sollte sie ihn ja umbringen oder sich zumindest in ihn verlieben. Und sicher hätte Persephone sie niemals gehen lassen, wenn sie gespürt hätte, dass Gansey in dieser Nacht sterben würde.
    Sie folgten den Strahlen ihrer Taschenlampen und fanden Pig schließlich ganz in der Nähe der Stelle, an der sie Noahs Mustang entdeckt hatten. Mehrere Pfade aus niedergetrampeltem Gras führten vom Auto zum Wald, so als hätte Adam sich nicht entscheiden können, wo genau er hatte hineingehen

Weitere Kostenlose Bücher